Der Fall
»Wir werden mehr finden.« Als er den Bericht durchgesehen hatte, gab er ihn Sara zurück. »Bleiben Sie, bis ich mit der Obduktion fertig bin?« Sara war so in Gedanken versunken, dass sie nicht antwortete. Fawcett hielt ihr die Hand vors Gesicht und schnippte mit den Fingern. »Hallo, sind Sie auf Empfang?«
»Wie bitte?« Sara schrak aus ihren Gedanken hoch. »Entschuldigung. Was haben Sie gesagt?«
»Erstens habe ich gefragt, ob Sie bis zum Ende der Obduktion bleiben. Zweitens frage ich, was Sie so beschäftigt.«
»Eigentlich nichts – nur ein anderer Aspekt des Falls. Was Ihre Frage angeht, ob ich zur Obduktion bleibe – ich würde gern dabei zusehen, aber ich habe heute Mittag einen Termin im Gericht. Im Büro meinten alle, es wäre sehr lehrreich, sich mal anzusehen, wie so etwas gemacht wird.«
»Die haben keine Ahnung, wovon sie reden«, sagte Fawcett, als er auf den Obduktionsraum zuging. »Aber wenn Sie unbedingt meinen, ziehen Sie sich einen Kittel an.«
»Sie führen eine Obduktion durch?«, fragte Rafferty, als er vor Jareds Schreibtisch Platz nahm.
»Der einzigen Akte zufolge, die ich zu sehen bekam, haben sie die Leiche gestern Abend exhumiert«, sagte Jared. »Und heute Morgen sezieren sie sie.«
»Und dann hat sie Sie erwischt?«, fragte Kozlow von seinem Stuhl im hinteren Teil des Büros. »O Mann, Sie müssen –«
»Jetzt reicht’s«, unterbrach ihn Jared. »Ich will nichts mehr davon hören.«
»Das war keine Glanzleistung.«
»Das kriege ich schon geregelt«, sagte Jared. »Ich habe nur für drei Tage Sachen zum Anziehen mitgenommen. Deshalb habe ich einen Vorwand, dass ich in die Wohnung zurück muss. Außerdem hat sie die Schlösser nicht ausgetauscht.«
»Noch nicht«, sagte Kozlow.
»Gibt es eine Möglichkeit, die Obduktion zu verhindern?«, wollte Rafferty wissen.
»Wir könnten versuchen, sie zu torpedieren, aber ich persönlich glaube, das würde mehr schaden als nützen. Auf keinen Fall dürfen wir etwas tun, was uns noch verdächtiger erscheinen lässt.«
»Und was sollen wir dann tun?«
»Wir führen eine eigene Obduktion durch, deren Ergebnisse hoffentlich denen ihres Pathologen widersprechen werden. Widersprüchliche Gutachten verwirren die Geschworenen immer. Ansonsten können wir vorerst nichts Besseres tun, als zu warten. Ich weiß, das macht Sie ganz wahnsinnig, aber solange wir nicht wissen, was bei der Sache herauskommt, besteht kein Grund zur Panik.«
»Und wenn sie auf was Verdächtiges stoßen?«, fragte Kozlow.
»Das hängt ganz davon ab«, erwiderte Jared. »Wenn es sich irgendwie anfechten lässt, kann es der Pathologe, den wir damit betrauen, möglicherweise herunterspielen. Aber wenn sie es direkt mit Ihnen in Verbindung bringen können, klagen sie Sie unter Umständen wegen Mor …«
»Ich sagte Ihnen doch«, unterbrach ihn Rafferty. »Ich möchte nicht, dass das Ganze zu einem Mordprozess ausartet.«
»So leid es mir tut, Sie enttäuschen zu müssen, aber darauf habe ich im Moment keinen Einfluss.«
Als Sara und Fawcett sich umgezogen hatten, reichte Fawcett Sara einen Streifen Spearmint-Kaugummi. »Da, nehmen Sie.«
»Was?« Mit einem verdutzten Blick auf Fawcett nahm Sara den Kaugummi.
»Man darf zwar nichts zu essen und zu trinken mit reinnehmen, aber so wird Ihnen nicht so leicht übel. Von dem Geruch kann es Ihnen jederzeit den Magen umdrehen.«
»Keine Sorge.« Sara steckte den Kaugummi ein und zog sich ihre Gesichtsmaske über. »Ich bin nicht das erste Mal in einem Leichenschauhaus.«
Achselzuckend betrat Fawcett den Obduktionsraum. Der riesige, makellos saubere Raum war in acht Arbeitsbereiche mit jeweils einem Obduktionstisch unterteilt, von denen jeder mit Hunderten kleiner Löcher versehen war, damit die Körperflüssigkeiten ablaufen konnten. Im Moment waren bereits drei Obduktionen im Gange. Sobald Fawcett die Tür öffnete, schlug Sara der Verwesungsgeruch entgegen wie eine Dampframme. Als sie darauf hektisch den Kaugummi aus ihrer Tasche kramte, fiel ihr Blick auf Arnold Donigers exhumierte sterbliche Überreste. Sie sah die grünliche Färbung, die über seinem Gesicht lag. Und die ersten Verwesungserscheinungen, die sich an seinen Schultern und den Außenseiten seiner Beine zu zeigen begannen. Und seine schlaffe Haut, die den Eindruck erweckte, als verflüssigte sich sein Gesicht. Noch bevor sie den Kaugummi auch nur aus der Tasche bekam, beugte sich Sara vornüber und erbrach sich in ihre Atemmaske, sodass ein
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