Der Fall
Beurteilung bat, gaben sie mir zu verstehen, ich befände mich nicht auf der Teilhaberschiene. Sie meinten, ich hätte nicht das Zeug dazu, es in ihrer Kanzlei zu etwas zu bringen.«
»Aber deswegen wurden Sie nicht gefeuert.«
»Nein, gefeuert wurde ich, als …« Sara hielt inne. »Woher wussten Sie, dass ich entlassen worden bin?«
»Ich arbeite nun schon neun Jahre in dieser Behörde«, sagte Moore. »Ich habe in jeder größeren Kanzlei New Yorks Freunde – auch in Ihrer ehemaligen.«
»Sie haben mich überprüft?«
»Schauen Sie, Guff hat mich gebeten, Ihnen zu helfen. Aus irgendeinem Grund mag er Sie. Aber wenn ich schon jemandem etwas beibringe, versteht es sich von selbst, dass ich vorher wissen will, aus welchem Holz der Betreffende geschnitzt ist.«
»Warum stellen Sie mir dann eine Frage, auf die Sie die Antwort bereits wissen?«
»Um zu sehen, ob Sie lügen würden«, sagte Moore ganz direkt. »Ich will aber trotzdem noch wissen, warum Sie entlassen wurden.«
»Wenn Sie so viele Leute kennen, wie kommt es dann, dass Sie das nicht wissen?«, fragte Sara.
Moore lächelte. »Man sagte mir schon, Sie sind eine Kämpfernatur.«
»Das können Sie laut sagen«, flocht Guff ein.
»Um Ihre Frage zu beantworten«, führ Moore fort, »vielleicht möchte ich ja Ihre Version der Geschichte hören.«
»Können wir uns das nicht für ein andermal aufsparen?«, fragte Sara. »Mein Soll an Peinlichkeiten ist für heute erfüllt.«
»Meinetwegen«, sagte Moore. »Dann befassen wir uns mal mit Ihrem Problem. Sie fragen sich also, was Sie mit dem Fall machen sollen.«
»Was ich damit machen soll, weiß ich – ihn zur Verhandlung bringen. Ich weiß nur nicht, ob Stockwell mich lässt.«
»Wenn sowohl Victor als auch Evelyn wissen, dass Sie ihn haben, und ihn noch nicht zurückverlangt haben, gehört der Fall Ihnen. Ob es Ihnen passt oder nicht, Sie haben ihn am Hals.«
»Glauben Sie, Stockwell wird es mich ausbaden lassen?«
»Er ist bestimmt sauer. Aber deswegen würde ich mir an Ihrer Stelle keine Sorgen machen. Alle rangälteren SBAs haben ein ausgeprägtes Revierdenken.«
»Sie müssen es ja wissen.« Sara fragte sich noch immer, warum der Fall für Stockwell vorgemerkt gewesen war.
»Und was ist mit der Tatsache, dass der Fall nichts hergibt?«, fragte Guff. »Glauben Sie, er ist so unbedeutend, dass sie damit ihren Job gar nicht retten kann?«
»Er mag vielleicht nichts hergeben«, sagte Sara. »Aber er ist alles, was ich habe.«
»Ganz richtig«, gab ihr Moore Recht. »Und wenn Sie diese Behörde von Ihren Fähigkeiten überzeugen wollen, ist irgendetwas immer besser als gar nichts.« Er erhob sich von seinem Sitz und ging zur Tür. »Aber jetzt verlassen wir lieber mal diesen Raum.«
»Jetzt wird er Ihnen beibringen, wie man das Verbrechen bekämpft«, bemerkte Guff, an Sara gewandt.
»Soll ich Mantel und Degen mitnehmen?«, fragte Sara.
»Wie bitte?«
»Ach, nichts.« Sara folgte Moore zur Tür. »Wohin gehen wir?«
»Zurück ins ECAB.« Mit einem Blick auf Saras Hände fügte Moore hinzu: »Übrigens, wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf: Nehmen Sie Ihren Ehering ab.«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich ganz richtig verstanden: Nehmen Sie den Ring ab. Als Staatsanwältin werden Sie sich bei einigen ziemlich unangenehmen Zeitgenossen unbeliebt machen. Je weniger diese Leute über Sie wissen, desto besser. Und glauben Sie mir, jedes Detail, das Sie der anderen Seite preisgeben – ganz gleich, wie unbedeutend es sein mag –, sie werden eine Möglichkeit finden, es gegen Sie zu verwenden.«
Als Jared sich in der Cafeteria der Kanzlei einen Schokoriegel holte und wieder in sein Büro zurückging, wünschte er sich, er könnte endlich Feierabend machen. Angefangen bei Hartley über Lubetsky bis hin zu Rose, hatte er den ganzen Nachmittag nichts als Ärger gehabt. Als er nun den gewundenen, kirschbaumvertäfelten Flur entlangging, versuchte Jared angestrengt, sein jüngstes Malheur zu vergessen und stattdessen an sein größtes Plus zu denken: an Sara, den einzigen Menschen, der ihm immer half, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich waren. Er überlegte, was sie zu Rose gesagt hätte, und lachte still in sich hinein. Sara hätte sich diesen Ton niemals bieten lassen. Wenn Rose mit seiner Attacke fertig gewesen wäre, hätte sie ihn so niedergemacht, dass er es bereut hätte, auch nur den Mund aufgemacht zu haben. Das war es vor allem, was Jared so an ihr schätzte. Sie machte, was er
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