Der Fall
Jared, dem sehr wohl bewusst war, dass Rafferty nicht einfach verschwinden würde. »Wir haben auf jeden Fall Glück gehabt.«
»Aber erzähl doch schon mal, warum du heute Nachmittag angerufen hast. Was war so wichtig?«
Jareds Faust schloss sich fester um den Zettel. »Ach, nichts.«
»Guff meinte, du hättest den Eindruck gemacht, als wäre es sehr dringend gewesen.«
»Es war wirklich nichts. Ein Problem, das sich inzwischen von selbst geklärt hat.«
Bis Mitternacht war die Polizei gekommen und wieder gegangen, die Wohnung war nach Fingerabdrücken untersucht worden, und Jared und Sara hatten die meisten ihrer Sachen aufgeräumt.
»Die Cops sind sehr gründlich vorgegangen, finde ich«, sagte Sara, als sie sich aufs Sofa legte.
»Das will ich doch hoffen.« Jared setzte sich in seinen Lieblingssessel. »Du bist jetzt eine von ihnen.« Er versuchte so gut wie möglich, sich ganz normal zu geben, aber er konnte den Blick nicht von seiner Frau losreißen. Wenn er es tat, konnte etwas passieren. Würde etwas passieren. Und es wäre seine Schuld! Es lag in seinen Händen. Auf der Suche nach einer guten Überleitung fügte er hinzu: »Übrigens, nachdem wir diesen Schlamassel erst mal beseitigt haben, muss ich gleich mit der nächsten Katastrophenmeldung kommen. Ich kann nicht von dem Fall Kozlow zurücktreten.«
Sara schoss vom Sofa hoch. »Was heißt das: ›Du kannst nicht‹? Niemand hat dir irgendwelche Vorschriften zu machen – du kannst tun und lassen, was du willst.«
»Im Ernst. Ich kann nicht.«
»Warum nicht? Hält dir jemand eine Pistole an den Kopf?«
»Nein. Aber ich muss den Fall übernehmen, ob ich will oder nicht.«
»Jetzt komm mir nicht mit so was, Jared! Du hast mir versprochen –«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber es geht nicht.«
»Hör zu, der einzige Grund, warum Kozlow dich als Verteidiger will, ist, dass du mein Mann bist. Er will uns offensichtlich gegeneinander ausspielen.«
»Danke für das Kompliment.«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Trotzdem. Egal, aus welchem Grund seine Wahl auf mich gefallen ist, Lubetsky hat spitzgekriegt, dass der Kerl, der die Rechnung zahlt, gut bei Kasse ist. Er meint, wenn ich den Fall übernehme, kriegen wir vielleicht auch seine anderen rechtlichen Angelegenheiten zugeschoben.«
»Dann soll doch Lubetsky den Fall übernehmen! Ich täte nichts lieber, als ihm vor Gericht seine sieben Doppelkinne abzuwatschen.«
»Kozlow besteht darauf, dass ich ihn verteidige. Und Lubetsky lässt mich den Fall nicht abgeben. Ich habe es wirklich versucht, Schatz. Ich habe es wirklich versucht.«
»Du hast es nicht richtig versucht.« Saras Stimme wurde lauter. »Wenn du diesen Fall behältst, mischst du dich in meine beruflichen Angelegenheiten ein. Und wenn ich gegen meinen Mann verliere, verspiele ich meine einzige klägliche Chance, meine Stelle zu behalten.«
»Jetzt beruhige dich erst mal.«
»Du hast gut reden! Verschick du doch mal ein halbes Jahr lang Bewerbungsschreiben an jede Kanzlei in dieser Stadt. Krieg du doch mal zweihundertfünfundzwanzig Absagen. Auf dem Arbeitsmarkt für Juristen bin ich doch der letzte Ladenhüter. Und nach den vielen Dämpfern, die ich in letzter Zeit bekommen habe, möchte ich jetzt nicht schon wieder einen.«
»Jetzt reg dich doch nicht gleich so auf!« Jared setzte sich neben seine Frau. »Glaubst du wirklich, ich tue das, um dir die Karriere zu verpfuschen? Sara, du bist für mich das Wichtigste auf der ganzen Welt. Ich würde nie etwas tun, was dir schaden könnte. Ich möchte nur …«Jared verstummte.
»Du möchtest nur was?«
»Nichts, ich …«
»Was?«, hakte Sara nach. »Sag schon!«
Jared zögerte einen Moment. Schließlich sagte er: »Lubetsky meinte, wenn ich den Fall nicht übernehme und diesen Kerl nicht als Mandanten für die Kanzlei gewinne, werde ich nicht Partner. Ich werde auf der Stelle gefeuert.«
Sara war sprachlos. »Machst du Witze? Das hat er zu dir gesagt?«
»Nach allem, was gestern passiert ist, läuft es darauf hinaus. Sie stimmen im nächsten halben Jahr über mich ab. In den sechseinhalb Jahren, die ich inzwischen in der Kanzlei bin, habe ich nicht einen einzigen neuen Mandanten gewonnen.«
»Aber du hast einige ihrer größten –«
»Das waren die Fälle von anderen, jetzt muss ich meine eigenen Fälle an Land ziehen. Eine Sozietät mag zwar ein Team von Anwälten sein, aber unterm Strich ist auch eine Kanzlei nur ein Geschäftsunternehmen. Wenn ich nicht
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