Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Fall

Titel: Der Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
Vom Netzwerk:
koscheren Pickles und gebratenen Knishes drang. Während ein Strom von Bewohnern der Eastside ihren Nasen in die Gefilde gigantischer Pastramisandwiches und unverschämter Kellner folgten, fiel Sara vor allem die kühle Luft auf. »Der Winter ist im Anmarsch«, sagte sie.
    »Glauben Sie?«, fragte Guff, der, um sich warm zu halten, in seine Hände blies und auf der Stelle trabte. »Könnten Sie mir vielleicht noch mal erklären, warum Ihr Großvater will, dass wir hier draußen stehen, während es drinnen schön warm und gemütlich ist?«
    »Guff, ich habe Ihnen schon zehnmal gesagt – nennen Sie ihn nicht meinen Großvater! Er ist Pop. Er will Pop genannt werden. So nennen wir ihn. Und wenn wir mit ihm essen wollen, müssen wir uns draußen mit ihm treffen. Sonst denkt er, wir treffen uns nicht mit ihm, und geht wieder nach Hause. Es hört sich vielleicht absurd an, aber es ist kein Witz. Ich habe schon oft genug auf ihn gewartet, um zu wissen, wovon ich rede.«
    »Er ist ein richtiges Original, nicht?«
    »Darum habe ich Sie ja auch eingeladen. Er mag ja mein nächster noch lebender Verwandter sein, aber für einen allein kann er ziemlich anstrengend werden. Zu zweit ist er eindeutig leichter zu verkraften.«
    »Warum ist Jared nicht mitgekommen?«
    »Jared meinte, er hätte zu viel zu tun, aber ich glaube, es liegt auch daran, dass er und Pop nicht immer hundertprozentig miteinander klarkommen.«
    »Warum nicht?«
    »Als Jared und ich uns kennenlernten, meinte Pop, Jared wäre nicht der Richtige für mich.«
    »Und?«
    »Und er sagte es Jared ins Gesicht. Am ersten Abend – gleich, als sie sich kennenlernten.«
    »Ich nehme mal an, Sie waren in diesem Punkt anderer Meinung.«
    »Natürlich! Egal, was Pop denkt, war mir bei Jared immer schon klar: der oder keiner.«
    »Woher wussten Sie das?«
    »Was soll das heißen: Woher wusste ich das? Da gibt es keinen bestimmten Grund. So etwas … weiß man einfach.«
    »Mit diesem sentimentalen Quatsch brauchen Sie mir wirklich nicht zu kommen. Da muss es doch etwas geben, etwas ganz Konkretes – etwas, das für Sie so eine Art Signalcharakter hatte.«
    Nach kurzem Nachdenken sagte Sara: »Da war tatsächlich etwas. Als ich noch ziemlich klein war, vielleicht neun oder zehn, fing mein Vater an, ständig auf Geschäftsreisen zu gehen – er war Vertreter für eine Damenbekleidungsfirma. Zur gleichen Zeit bekam ich immer wieder den gleichen Albtraum, dass ich taub wäre. Das war ganz schön beängstigend. Um mich herum redeten alle, aber ich konnte nichts hören. Und dann konnte auch mich niemand hören – selbst wenn ich aus Leibeskräften schrie. So ging das fast zwei Jahre.«
    »Weil Ihnen Ihr Vater fehlte.«
    »Genau. Als meine Mutter mit mir zu einem Psychologen ging, erklärte er ihr, der Albtraum rührte von meiner Angst vor dem Alleinsein her. Da ich ein Einzelkind war und meine Eltern häufig nicht zu Hause waren, war das ganz normal. Mit etwas Hilfe kam ich schließlich über meine vorpubertären Ängste hinweg. Dann starben zwölf Jahre später meine Eltern. Und ich hatte wieder diesen Albtraum. Denselben schrecklichen immer wiederkehrenden Traum: Ich bin wieder zehn, ich bin taub, und obwohl ich brülle wie eine Verrückte, kann ich mich selbst nicht hören, und auch sonst kann mich niemand hören. Doch diesmal wollten die Träume nicht aufhören – egal, wie sehr ich es versuchte, egal, wie viele psychologische Tricks ich ausprobierte. Sie machten mich richtig fertig. Doch als ich mit Jared auszugehen begann, hatte ich den Traum plötzlich nicht mehr. Und auch die ganze Zeit danach nicht mehr. Und das ist zumindest einer der Gründe, weshalb ich wusste, dass er der Richtige war. Pop ist da natürlich anderer Meinung, aber das ist bei ihm immer so.«
    »Das verstehe ich nicht – wie kann ein Mensch so schlimm sein?«
    »Sie werden schon sehen«, warnte ihn Sara lächelnd. »Und noch einen letzten Rat: Wenn Ihnen der Gesprächsstoff ausgeht, schneiden Sie auf keinen Fall das Thema Bekleidungsindustrie an.«
    Guff, der mit einem kauzigen alten Mann gerechnet hatte, war überrascht, als Pop endlich um die Ecke bog. Mit seinen freundlichen, wachen Augen und seinem milden Lächeln sah der alte Mann wesentlich sympathischer aus, als Guff ihn sich vorgestellt hatte. Als er auf sie zukam, merkte Guff auch, wie groß er war. Als ehemaliger Streifenpolizist in Brooklyn war Pop zwar kein Muskelpaket mehr, aber in seinem entschlossenen, schwerfälligen Gang glaubte Guff

Weitere Kostenlose Bücher