Der falsche Apostel
fort:
»Murchad war es offensichtlich auch nicht, er hatte kein Tatmotiv. Er hätte im Falle eines Sieges den Wettgewinn einfach eingesammelt;
es ging ihm ohnehin mehr ums Geld als um den sportlichen Ehrgeiz. Hätte er Illan ermordet und Aonbharr vergiftet und auch
die Spur fälschlich auf Bressal gelenkt, wäre Bressal verhaftet, und Pferd und Reiter wären aus dem Rennen genommen worden.
Murchad hätte damit seinen Wetteinsatz selbst verspielt.«
Murchad begleitete ihre Ausführungen mit bedächtigem Kopfnicken. Fidelma fuhr munter fort.
»Wer käme weiter in Frage? Angaire, der täglichen Umgang mit Bressals Pferd hatte? Bressal war mit seiner Arbeit nicht zufrieden
und hatte ihm erst heute früh gesagt, dass er sich von ihm trennen wollte. Er hatte ihm nicht verschwiegen, dass er Illan
aufgesucht hatte, um ihn zu überreden, in seine Dienste zurückzukehren und für ihn statt für Fáelán zu reiten. Angaire hätte
also eher einen Beweggrund gehabt als Murchad.«
Angaire trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Fidelma jedoch sprach unbeirrt weiter.
|361| »Halten wir an der Vorstellung fest, dass es bei allem immer um das Rennen ging, dann kommt nur noch eine Person in Frage,
die etwas davon gehabt haben könnte, Bressal zum Täter zu stempeln.«
Ihr Blick fiel auf Fáelán, den König. Der sah sie erstaunt an, und im gleichen Moment ging seine Verwunderung in Empörung
über. Doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Warte. Die Sache ist viel komplizierter. Außerdem wussten alle, dass Aonbharr mit Leichtigkeit Ochain hinter sich lassen
würde. Um seinen Sieg musstest du dir keine Sorgen machen, also hattest du kein Motiv.«
Sie machte eine Pause und schaute in die erwartungsvollen Gesichter.
»Es schälte sich heraus, dass Illans Ermordung nichts mit Rivalitäten auf der Rennstrecke zu tun hatte. Das Verbrechen wurde
aus einem anderen Grund begangen. Aber war es der gleiche wie für die Vergiftung von Aonbharr?«
Im Zelt herrschte gespanntes Schweigen, alle hingen an ihren Lippen.
»Das Tatmotiv für Illans Tod ist ein altbekanntes, so alt wie die Menschheitsgeschichte. Unerwiderte Liebe. Illan war jung
und schön und sein Ruf unter Frauen derart, dass er viele Geliebte hatte. Er pflückte sie wie andere Blumen, behielt sie,
so lange das Liebesverhältnis frisch war, und warf sie dann achtlos weg. Ich sehe das doch richtig, oder nicht?«
Fáelán war blass geworden und sah verstohlen zu Muadnat. »Das ist kein Verbrechen, Fidelma. In unserer Gesellschaft haben
noch immer viele eine zweite Frau, einen zweiten Mann, Liebhaber oder Geliebte.«
»Das stimmt. Aber eine der Blumen, die Illan sich auserwählt hatte, wollte sich nicht einfach wegwerfen lassen. Sie ging heute
Morgen in sein Zelt und stritt mit ihm. Und als er sie verschmähte |362| und ihr sagte, er wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben, packte sie die Wut, und sie erstach ihn. Mit einem raschen Dolchstoß
unterhalb des Rippenbogens war alles erledigt.«
»Wenn es sich so zugetragen hat, wie du sagst«, erklärte Énna ruhig, »warum dann der ganze Umstand, um Bressal die Schuld
in die Schuhe zu schieben? Warum noch Aonbharr vergiften? Die Gesetzgebung bei uns übt Nachsicht gegenüber denen, die Straftaten
aus Liebe begehen.«
»Das gilt aber nur, wenn eine Frau unter den angedeuteten Umständen dem Opfer eine nicht tödliche Verletzung beigebracht hat,
nur dann wäre sie nicht haftbar. Wenn es zu unbeherrschten Handlungen aufgrund leidenschaftlicher Erregung kommt, zeigt das
Gesetz Milde. Führt die Handlung jedoch zum Tod, muss sie Sühnegeld für den Getöteten zahlen. Von jeder anderen Form der Bestrafung
würde man absehen.«
»Weshalb sollte dann, wenn es tatsächlich an dem ist, die Frau ihre Tat verheimlichen wollen? Verheimlichung zieht doch nur
eine größere Bestrafung nach sich.« Wieder war es Énna, der die Frage stellte.
»Weil zwei unterschiedliche Täter am Werk waren, und die Tat des einen den anderen verlockte, sie für seine eigenen Absichten
zu nutzen.«
»Es fällt mir schwer, dir zu folgen. Wer hat nun Illan getötet?«, wollte Fáelán wissen und blickte mit zwiespältigen Gefühlen
zu seiner Frau. »Nach deinen Worten war es eine Frau. Ihr Versuch, die Tat zu verbergen, würde ohne Rücksicht auf ihren Rang
und Namen dazu führen, dass man sie im Falle des Schuldbeweises in einem Boot auf dem Meer aussetzen und sie mit nur einem
Paddel und ein wenig
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