Der falsche Apostel
Signal für mich, das Rennen des heutigen Nachmittags zu eröffnen … Mit dem Herzen bin ich nicht dabei.«
Er erhob sich und bot wie gewohnt seiner Frau den Arm. Zögernd und ohne ihn anzuschauen, nahm sie ihn an. Das Verhältnis von
König und Königin wieder ins rechte Lot zu bringen würde einiges kosten, dachte Fidelma für sich. Fáelán wandte sich um und
rief seinem Bischof zu: »Ob du uns nicht |368| besser begleitest, Bressal? Komm und bleib bei mir, wenn ich das Fest eröffne. Die Leute sollen sehen, dass wir zusammenstehen
und keine Feindschaft gegeneinander hegen. Wenn schon unsere Pferde beim Rennen nicht mitmachen, sollten wir beide wenigstens
den Menschen Einigkeit demonstrieren, zumindest heute.«
Bressal brauchte ein Weilchen, ehe er der Aufforderung nachgab.
»Gott sei gedankt, dass wir so weise Brehons wie dich haben, Fidelma«, sagte Fáelán als Letztes. »Die Anwaltskosten, die ich
dir schuldig bin, schicke ich nach Kildare.«
Als sie das Zelt verlassen hatten, erhob sich auch Énna langsam. Niedergeschlagen blickte er Fidelma und Laisran an.
»Ich wusste, dass sie eine Liebschaft hatte. Stets hätte ich zu ihr gestanden, selbst mein Amt hergegeben, so wie ich auch
jetzt bereit bin, es zu tun. Hätte sie sich mir anvertraut und die Wahrheit bekannt, nie im Leben hätte ich mich von ihr scheiden
lassen oder sie zurückgewiesen. Ich bleibe auch weiterhin an ihrer Seite.«
Schweigend sahen ihm Fidelma und Laisran nach, wie er das Zelt verließ.
»Es ist eine traurige Welt, in der wir leben«, stellte Fidelma nachdenklich fest.
Dann gingen auch sie und bahnten sich einen Weg durch die lärmende, sorglose Menge, die zur Rennstrecke strömte. Mit einem
verhaltenen Lächeln schaute Fidelma ihren alten Lehrmeister an.
»Es ist, wie du gesagt hast, Laisran – ein Pferderennen ist das beste Heilmittel für alle Übel der Menschheit. Es nimmt den
Leuten ihre Streitlust und Habgier.«
Schmunzelnd sah er in ihr schelmisches Gesicht, war aber klug genug, auf eine Erwiderung zu verzichten.
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|369| VOR DEM ZELT DES HOLOFERNES
Schwester Fidelma hielt ihre Stute an und schaute hinunter in das breite Tal. Der vor ihr liegende Weg schmiegte sich um die
Flanke des Bergs, und ein blassblauer Fluss schlängelte sich durch das Grün der Clanländereien der Uí Dróna. In der Ferne
erkannte sie die grauen Granitmauern der Burg
,
des Stammessitzes, der ihr Ziel war. Über ihr verschwitztes Gesicht glitt ein Lächeln freudiger Erwartung. Seit ihrem Aufbruch
vom Kloster Durrow waren vier Tage vergangen. Sie war ermüdet und fühlte sich in den vom Reisestaub bedeckten Sachen nicht
wohl. Doch es waren nicht nur ein Bad, saubere Kleidung und das Ausruhen nach dem langen Ritt, worauf sie sich freute. Vor
allem beglückte sie der Gedanke, Liadin wiederzusehen.
Fidelma war als einzige Tochter zwischen älteren Brüdern großgeworden, und Liadin, ihre Freundin aus Kindheitstagen, war ihr
gewissermaßen eine Schwester gewesen. Beide verband eine innige Beziehung. Gemeinsam waren sie bis zum Alter der Wahl aufgewachsen,
dem Jahr, in dem sie das Gesetz zu mündigen Frauen erklärte. Damals war Fidelma die
anamchara
, die Seelenfreundin Liadins geworden, ihre geistliche Vertraute und Ratgeberin, wie es in Irland entsprechend dem Neuen Glauben
üblich war.
In ihrer Tasche steckte eine dringende Nachricht von Liadin, die sie vor einer Woche in Durrow erhalten hatte. »Komm sofort! |370| Ich bin in großer Not. Liadin«, hieß es da. Jetzt, kurz vor dem Ende ihrer Reise, sah Fidelma erregt der Wiederbegegnung entgegen,
fürchtete sich aber zugleich davor.
Seit Jahren hatten sie einander nicht mehr gesehen. Ihre Wege hatten sich getrennt: Fidelma war nach Tara gegangen, um ihre
Studien fortzusetzen, während Liadin geheiratet hatte.
Fidelma erinnerte sich, dass ihre Freundin der Heirat mit Zittern und Zagen entgegengesehen hatte. Liadins Vater, ein Kleinkönig
von Cashel, drängte sie aus politischen Erwägungen in eine arrangierte Ehe. Liadin wäre viel lieber Lehrerin geworden. Sie
verfügte über gute Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen und auch in anderen Fächern. Und nun sollte sie einen fremdländischen
Stammesfürsten heiraten. Es war ein Gallier namens Scoriath vom Stamme der Fir Morc, den seine Stammesgenossen ins Exil nach
Irland getrieben hatten. Dort hatten ihm die Uí Dróna im Königreich Lagin Zuflucht gewährt, und er wurde sogar zum
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