Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Apostel

Der falsche Apostel

Titel: Der falsche Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
Vom Netzwerk:
Zeit erhob sich ein Hügel, ein wenig abseits von den anderen. Es
     handelte sich um eine uralte Grabstätte, eine sogenannte
dumma
. Umringt war sie von Säulen aus Granit mit eingemeißelten Schriftzeichen in Ogham, der alten irischen Schrift, die mit der
     Einführung des Neuen Glaubens dem Lateinischen hatte weichen müssen. Im Dunkeln ließ sich nichts weiter erkennen, doch Tressach
     wusste auch so, dass dieses Grab reicher geschmückt war als die anderen. Unter dem Sturz aus einem Granitblock befanden sich
     schwere Eichentüren, mit Kupfer und Bronze beschlagen und mit Eisenbändern verstärkt. Die Täfelungen waren mit Gold- und Silberarbeiten
     besetzt.
    Es war eins der ältesten Gräber in Tara. Wollte man den Chronisten Glauben schenken, so war es um die tausendfünfhundert Jahre
     alt und die letzte Ruhestätte von Tigernmas, dem sechsundzwanzigsten Hochkönig. Er war als »Herr des Todes« in die Geschichte
     eingegangen; von allen Königen aus alten Zeiten hatte er die meisten Kriege geführt und allein in einem Jahr neununddreißig
     Schlachten gewonnen. Während seiner Herrschaft, so berichteten die Geschichtenerzähler, wurden in Irland die ersten Gold-
     und Silberminen entdeckt und Schürfungen begonnen. Tigernmas wurde ein reicher und mächtiger König. Er verfügte, dass die
     Menschen Kleidung mit unterschiedlichen Farben zu tragen hatten, an denen ihre Clanzugehörigkeit und ihr Rang in der Gemeinschaft
     zu erkennen waren.
    Unter all den Gräbern, an denen Tressach an diesem ohnehin unheimlichen Abend vorbei musste, war es das von Tigernmas, vor
     dem er sich am meisten fürchtete. Die Chronisten wussten |408| zu berichten, dass Tigernmas sich von den alten Göttern abgewendet hatte, um ein Idol zu verehren, dessen Kult mit Blutvergießen
     und Rachetaten einherging. Anlässlich des Samhain-Festes ließ er auf der Ebene Magh Slecht Menschenopfer darbringen. Daraufhin
     ereilte ihn ein grausames Schicksal. Tigernmas und all seine Gefolgsleute starben an einer seltsamen Krankheit; seinen Leichnam
     brachte man nach Tara zurück, um ihn neben den anderen Königen zu bestatten.
    Tressach war mit der Geschichte nur allzu gut vertraut und hätte etwas darum gegeben, wenn er sie zu dieser Stunde aus seinen
     Gedanken hätte verbannen können. Mit der einen Hand hielt er den Griff seines Schwertes fest umklammert, mit der anderen die
     Laterne etwas höher. Es beruhigte ihn. Er war im Begriff, an der Grabstätte des Tigernmas vorbeizuhasten, als ihn ein Schrei
     lähmte. Beine und Arme wollten ihm nicht länger gehorchen. Es war ein gedämpfter Schrei, ein erstickter Schmerzensschrei.
    Unmittelbar darauf rief eine gequälte Stimme: »Zu Hilfe! Gott, erbarme dich!«
    Tressach brach der kalte Schweiß aus. Er war außerstande, sich zu bewegen oder einen Laut hervorzubringen; die Kehle war ihm
     wie zugeschnürt und ausgetrocknet.
    Nur das eine war ihm klar – der Schrei war aus der seit Jahrhunderten versiegelten Gruft des Tigernmas gekommen.
     
    Abt Colmán, der geistliche Ratgeber der Großen Versammlung der Stammesfürsten der fünf Königreiche Irlands, ein untersetzter
     Mann mit rötlichem Gesicht und Mitte fünfzig, erhob sich, um die junge Nonne zu begrüßen, die soeben sein Zimmer betreten
     hatte. Sie war eine große Frau mit graugrünen Augen, und selbst ihr Schleier konnte das rote Haar nicht bändigen.
    |409| »Es tut immer wieder gut, dich hier in Tara zu sehen, Schwester Fidelma! Nur beglückst du uns allzu selten mit deinem Besuch.«
     Mit ausgestreckten Händen ging er auf sie zu.
    »Dominus tecum«
, erwiderte sie ernst und ließ mit dieser Anrede nicht das Protokoll außer Acht. Der schmunzelnde Abt wehrte kopfschüttelnd
     ab, ergriff warmherzig ihre Hände und führte sie zu einem Stuhl am Feuer. Sie waren alte Freunde, doch war eine lange Zeit
     verstrichen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
    »Ich hatte mich schon besorgt gefragt, ob wir dich zu unserer Versammlung hier würden begrüßen dürfen. Alle anderen Richter
     und Anwälte sind bereits eingetroffen.«
    Mit einem schelmischen Lächeln sah ihn Schwester Fidelma, die zum Kloster der Heiligen Brigid von Kildare gehörte, an.
    »Von einem Konvent wie diesem fernzubleiben, hätte ich mir nicht verzeihen können. Dafür stehen zu viele strittige Punkte
     zur Debatte, wegen denen ich mich mit dem Obersten Richter anlegen möchte.«
    Ihre Antwort stimmte den Abt heiter, und freudig erkundigte er sich, ob ihr ein

Weitere Kostenlose Bücher