Der falsche Apostel
Mädchen.
»Sie wusste, dass ich mich mit Cessair verabredet hatte. Wir wollten uns hier auf ihrem Weg von Nivelles nach Fosse treffen«,
unterbrach Cano sie trotzig. »Ich schäme mich deswegen nicht.«
Fidelma ignorierte seinen Einwurf und sagte zu dem Mädchen: »Ruh dich ein wenig aus. Es dauert nicht mehr lange, und dann
bringen wir dich in Sicherheit und kümmern uns um deine Wunde.«
Nun erst wandte sie sich Cano zu.
|506| »Du hast also hier auf Cessair gewartet?«
»Cessair und ich, wir haben uns geliebt. Wir haben uns oft hier getroffen, weil Abt Heribert so sehr gegen unsere Verbindung
war.«
»Erzähl mir davon.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin vor etwa einem Monat nach Fosse gekommen, um mich der Gemeinschaft anzuschließen.
Es sind zwar einige irische Ordensleute hier und in Nivelles, aber es ist ein seltsames Land. Sie legen hier viel mehr Wert
auf das Zölibat als wir in Éireann. Sie haben nicht so viele gemischte Häuser wie wir. Abt Heribert ist ein fanatischer Anhänger
des Zölibats – obwohl es in der Kirche keine solche Vorschrift gibt. Ich glaube, ich wäre schon längst wieder von hier weg,
wenn ich Cessair nicht kennengelernt hätte.«
»Wann war das?«
»Gleich in der Woche nach meiner Ankunft. Bruder Sinsear hat mich mit ihr bekannt gemacht, als wir Gemüse von Fosse nach Nivelles
brachten.«
»Bruder Sinsear hat euch einander vorgestellt?«
»Ja. Als Gärtner brachte er regelmäßig Gemüse von einer Abtei zur anderen. Er kennt viele von den Nonnen in Nivelles.«
»Hatte Cessair irgendwelche Feinde, von denen du weißt?«
»Nur Abt Heribert, nachdem er unsere Beziehung entdeckt hatte.« Canos Stimme klang bitter. Von der Tür her hörte Fidelma Heriberts
wütendes Knurren.
»Warum seid ihr nicht von hier weggegangen und habt euch einem gemischten Haus angeschlossen?«
»Das hatten wir vor, aber Äbtissin Ballgel hat Cessair davon abgeraten.«
Fidelma sah ihn fragend an.
»Warum sollte sie etwas dagegen haben?«
|507| Cano zuckte die Achseln.
»Sie hat Cessair sehr … fürsorglich behandelt. Sie hielt sie noch für zu jung.«
»Fürsorglicher als ihre anderen Schützlinge?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir verzweifelt waren und deshalb wegwollten.«
Fidelma wartete eine Weile. Dann sagte sie unvermittelt: »Hast du Cessair umgebracht?«
Der junge Mönch hob sein tränennasses Gesicht zu Fidelma und schaute sie gequält an.
»Wie kannst du eine solche Frage stellen?«
»Weil ich eine
dálaigh
bin, eine Anwältin«, erwiderte Fidelma. »Es ist meine Pflicht, diese Frage zu stellen.«
»Ich habe es nicht getan.«
»Dann sage mir, was heute Morgen geschehen ist.«
»Ich wusste, dass Cessair und Della die Phiole zur alljährlichen Segnung nach Fosse bringen würden. Also haben wir uns hier
verabredet.«
»Das hätte doch aber sicher die Ankunft der Phiole in Fosse verzögert? Der Gottesdienst war am Mittag.«
»Cessair wollte Della überreden, die Phiole allein nach Fosse zu tragen, während sie hier bei mir blieb. Wir wollten uns nur
kurz sehen, um ein paar Abmachungen zu treffen. Dann wäre Cessair Della gefolgt und hätte vorgegeben, ihr sei unterwegs ein
Riemen an der Sandale gerissen oder so was.«
»Was für Abmachungen wolltet ihr denn treffen?«
»Wie wir von hier verschwinden würden. Vielleicht nach Irland zurück.«
»Ich verstehe. Du bist also in der Hütte angekommen …«
»Und ich habe gewartet. Ich dachte, Cessair hätte sich verspätet. Ich wollte gerade zum Hauptweg hinuntergehen, um nach ihr
Ausschau zu halten, als Della in die Hütte getaumelt |508| kam. Sie war geradezu hysterisch. Sie vermochte mir noch zu erzählen, was geschehen war, ehe sie in Ohnmacht fiel. Ich konnte
sie doch nicht allein lassen. Ich habe ununterbrochen versucht, sie wieder zum Bewusstsein zu bringen. Sie ist erst vor wenigen
Augenblicken wieder zu sich gekommen.«
»Würdest du das so bestätigen?«, fragte Fidelma Della.
Das Mädchen hatte sich auf einen Ellbogen gestützt. Sie sah immer noch bleich und verstört aus.
»Soweit ich kann. Ich erinnere mich nicht mehr an viel.«
»Nun gut. Wir sollten dich jetzt in eine der Abteien schaffen.« Sie schaute zu Cano, der nervös die Hände rang. Dann erkundigte
sie sich plötzlich: »Hast du die Phiole mit dem Blut, Schwester Della? Mit dem Heiligen Blut der heiligen Gertrude?«
Della schüttelte den Kopf.
»Cessair hatte sie in
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