Der falsche Apostel
Gemeinschaft jegliche Beziehung zu Frauen verbiete? Weil ich die
Äbtissin dringend gebeten habe, Schwester Cessair zu untersagen, sich mit Bruder Cano zu treffen, wie ich ihm verboten hatte,
sich mit ihr zu treffen? Soll das dazu dienen, mir einen Mord in die Schuhe zu schieben?«
»Hast du sie getötet?«
Fidelma sprach diese Frage so leise aus, dass es lange schien, als hätte der Abt sie nicht gehört.
»Wie kannst du es wagen!«
»Ich wage es, weil ich muss«, antwortete Fidelma ruhig. »Be halte dein Geschrei für dich, Abt. Wir sind hier, um die Wahrheit herauszufinden, nicht um deine Eitelkeit zu pflegen.«
Heribert lief zornesrot an. Er war sprachlos vor Wut.
Äbtissin Ballgel lehnte sich zu ihm hinüber.
»Abt Heribert, wir sind intelligente Menschen, die versuchen, ein Problem zu lösen. Weder Stolz noch Selbstachtung sollten
diesen Vorgang behindern, denn wir suchen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
Abt Heribert blinzelte.
»Ich verbitte mir, hier angeklagt zu werden …«
»Ich habe dich nicht angeklagt, Heribert«, erwiderte Fidelma. »Du hast es in deinem Stolz nur so empfunden. Aber da du nun
einmal selbst das Thema angesprochen hast, sage ich dir frei heraus, dass du Cessair sicherlich nicht mochtest.«
Er starrte sie an und zuckte mit den Achseln.
|512| »Das habe ich ja deutlich genug gezeigt. Nein. Ich empfand eine große Abneigung gegen sie, weil sie Bruder Cano vom rechten
Weg abgebracht hat. Mehr noch, sie hat alle jungen Männer in meiner Gemeinschaft vom Pfad der Tugend gelockt. Ich habe sogar
gesehen, dass sich Mönche wie Bruder Sinsear in ihrer Gegenwart wie verliebte Tölpel benahmen.«
»Mein Mentor, der Brehon Morann von Tara, pflegte zu sagen: Im Alter fällt es einem immer leichter, ein Mönch zu sein.« Fidelma
seufzte.
Äbtissin Ballgel verkniff sich ein Lächeln.
»Jedenfalls«, fuhr Fidelma fort, »hast du erwartet, dass die Schwestern Cessair und Della um die Mittagszeit in Fosse ankommen
würden, habe ich mir sagen lassen?«
»Das stimmt nicht ganz. Ich erwartete zwei Schwestern aus der Gemeinschaft von Äbtissin Ballgel, wusste aber nicht, wer das
sein würde. Hätte ich geahnt, dass eine von ihnen Schwester Cessair ist …«
»Was hättest du dann gemacht?«
»Ich hätte sie daran gehindert, hierherzukommen und Bruder Cano weiter den Kopf zu verdrehen und ihn zu verführen.«
»Ach, Cano ist verführt worden?«, fragte Fidelma. »Ich dachte, er wäre in Cessair verliebt?«
Der Abt wand sich verlegen.
»Frauen sind die Versuchung, die Heilige vom Pfad der Gnade abbringt.«
Er senkte die Augen, denn er sah, wie in Fidelma Zorn aufstieg. Doch die hatte inzwischen eingesehen, dass es unmöglich sein
würde, seine frauenfeindlichen Vorurteile zu überwinden, und beschlossen, die Bemerkung zu ignorieren.
»Ballgel, warum hast du Cessair und Della ausgewählt, die Phiole mit dem Blut heute Morgen zum Gottesdienst zu bringen?«
|513| »Wieso?«
»Jemand wusste, dass Cessair auf diesem Pfad durch den Wald kommen würde.«
Die Augen den Äbtissin weiteten sich.
»Gestern Abend kam Schwester Della zu mir und bat mich, sie die Phiole zum Segnungsgottesdienst bringen zu lassen. Sie fragte
mich auch, ob sie ihre Begleitperson selbst aussuchen dürfte.«
»Und du wusstest nicht, dass sie Cessair auswählen würde?«
»Nun«, erwiderte die Äbtissin lächelnd, »ich nahm an, dass sie das tun würde. Die beiden waren unzertrennlich.«
»Dir war klar, dass sie Cessair als Begleitung durch den Wald von Seneffe wählen würde, obwohl der Abt Cessair entschieden
missbilligte? Ist das nicht ein wenig seltsam?«
Ȇberhaupt nicht. Da bin ich wie du, Fidelma. Ich weigere mich, mir vorschreiben zu lassen, wen ich hierhin oder dorthin schicken
darf.«
Abt Heribert kniff seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Er war offensichtlich höchst verärgert, sagte aber kein Wort.
»Also war Schwester Della die einzige Person, die wusste, dass Cessair sie begleiten würde, außer dir, Ballgel?«
Äbtissin Ballgel schaute ihre Freundin vorsichtig an.
»Du wirst dich erinnern, Fidelma«, sagte sie leise, »dass du in Nivelles ankamst, als uns Bruder Sinsear gerade die Schreckensnachricht
überbracht hatte.«
Fidelma lächelte mitfühlend.
»Daran erinnere ich mich. Und du musst mir durchaus nicht beweisen, dass du keine Zeit gehabt hättest, die Tat zu begehen.
Außerdem würde es einer Äbtissin schwerfallen, sich lange genug vom
Weitere Kostenlose Bücher