Der falsche Apostel
widerwärtige Beziehung beenden. Äbtissin Ballgel kannte meine Ansichten. Es überrascht mich nicht,
dass diese junge Frau mit ihren losen Sitten einen bitteren Preis zahlen musste.«
Fidelma zog erstaunt eine Augenbraue hoch.
»Das ist eine sehr interessante Aussage. Siehst du diese Angelegenheit nicht ein wenig zu ernst, Vater Abt?«
Heribert schaute sie misstrauisch an.
»Was meinst du damit?«
»Ich habe lediglich eine Beobachtung gemacht. Stört es dich, dass ich dich auf deine leidenschaftlichen Tiraden hinweise,
mit denen du die unglückselige Schwester verunglimpfst?«
»Ich glaube an die Lehren des Paulus von Tarsus.«
»Und doch sind sie keineswegs Kirchengesetz. Auch der Heilige Vater spricht sich nicht gegen diejenigen aus, die das Zölibat
ablehnen. Wir haben es hier nicht einmal mit einer Glaubensregel zu tun.«
»Noch nicht. Doch die Zahl derer, die wie wir an die Trennung von Männern und Frauen und an die Regeln des Zölibats glauben,
wächst ständig. Eines Tages muss auch der Heilige Vater dieser Entwicklung Rechnung tragen. Er hat bereits angedeutet, dass
das Zölibat sehr wohl der beste Weg in die Zukunft sein …«
|501| »Bis das geschieht, ist es kein Gesetz. Nun gut, ich kenne jetzt deinen Standpunkt. Doch wir haben hier einen Mord aufzuklären.
Wo ist Bruder Cano?«
Abt Heribert zuckte mit den Achseln.
»Bruder Sinsear hat mir gesagt, dass Bruder Cano das Kloster heute Morgen verlassen hat und dass man ihn gesehen hat, wie
er diesen Pfad einschlug. Vielleicht wollte er sich mit Schwester Cessair treffen?«
Äbtissin Ballgel stöhnte leise auf.
»Wenn Cano sich mit Schwester Cessair treffen wollte … wenn er ihr so etwas antun konnte … dann müssen wir sofort Schwester
Della finden.«
Fidelma lächelte ihr aufmunternd zu.
»Niemand hat bisher gesagt, dass Cano der Täter ist«, bemerkte sie ruhig. »Es scheint jedoch, dass wir außer einer vermissten
Schwester auch noch einen vermissten Bruder suchen müssen. Vielleicht finden wir den einen mit der anderen. Wo ist Bruder
Sinsear?«
Ein Mönch, der in der Nähe stand, hüstelte nervös und trat zögerlich einen Schritt auf Fidelma zu. Es war ein blasser junger
Mann, kaum dem Jünglingsalter entwachsen. Sein Gesicht war angespannt, und starke Empfindungen schienen ihn zu überwältigen.
»Ich bin Sinsear.«
Fidelma blickte in sein gerötetes, ängstliches Gesicht.
»Du scheinst erregt zu sein, Bruder.«
»Ich arbeite mit Bruder Cano in den Gärten unseres Klosters, Schwester. Ich bin sein Freund. Ich wusste, dass er ein …« Er
schaute nervös zu seinem Abt hin. »… eine Leidenschaft für Schwester Cessair hegte.«
»Eine Leidenschaft? Du musst nicht um die Sache herumreden, Bruder. War er in sie verliebt?«
|502| »Ich wusste nur, dass sie sich regelmäßig hier im Wald trafen, weil der Vater Abt ihre Beziehung missbilligte.«
Abt Heribert warf ihm einen aufgebrachten Blick zu, aber Fidelma hinderte ihn mit einer Handbewegung am Sprechen.
»Rede weiter, Bruder Sinsear. Was sagtest du?«
»Sie hatten einen besonderen Treffpunkt auf einer Lichtung nicht weit von hier. Eine Holzfällerhütte. Unter den gegebenen
Umständen, denke ich, sollte man sich diese Hütte ansehen.«
»Du hättest früher den Mund aufmachen sollen, Bruder«, bellte Abt Heribert. »Cano kann inzwischen bereits geflohen sein. Ich
halte es für sinnlos, ihn in dieser Hütte zu suchen.«
»Du gehst bereits davon aus, dass er der Täter ist, Heribert«, wies ihn Fidelma zurecht. »Ich glaube, wir sollten uns zu dieser
Hütte begeben. Kennst du den Weg dorthin, Bruder Sinsear?«
»Ich denke schon. Ein kleiner Pfad biegt etwa hundert Schritte von hier vom Weg ab.« Er deutete in Richtung Fosse, weg von
der Eiche, wo man Cessair gefunden hatte.
»Wie tief in den Wald hinein?«
»Nicht mal eine viertel Meile.«
»Dann geh du voran. Vater Abt, du kannst die anderen Brüder deiner Gemeinschaft bitten, die Schwestern und Cessairs Leichnam
zurück zur Abtei von Nivelles zu geleiten.«
Erst wollte Heribert Einwände machen, dann tat er aber, wie sie ihm geheißen hatte.
Bruder Sinsear schaute mit seinen hellen Augen zu Fidelma.
»Kann Cano wirklich so eine schreckliche Tat begangen haben? O Gott, solche Anmut und Schönheit derart zu misshandeln! Warum
hat sie ihre Liebe nicht einem geschenkt, der diese wunderbaren Gaben zu schätzen …«
Abt Heribert unterbrach ihn.
»Wir wollen uns beeilen, Bruder Sinsear.
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