Der falsche Apostel
Gesetz.
Aber so weit wird es nicht kommen. Die |105| Äbtissin will nicht glauben, dass du dieses Mädchen getötet hast.«
»Bei Gott, ich bin unschuldig«, schluchzte der junge Mann.
Fidelma ging mit dem Brehon zu der geschützten Nische an der Flanke des Cnoc-gorm, wo Fergal sich die alte Hütte wieder aufgebaut
hatte. Die Klause war ohne Mörtel aus Feldsteinen zusammengefügt.
»Hier hast du Bruder Fergal und das tote Mädchen gefunden?«, fragte Fidelma, als sie vor der Tür stehen blieben.
»Ja«, antwortete der Brehon. »Allerdings wurde der Leichnam des Mädchens inzwischen fortgebracht. Ich verstehe nicht, wozu
es gut sein soll, dass du dir die Hütte ansiehst.«
Fidelma lächelte einfach nur, duckte sich unter dem Türsturz und trat ein.
Der Innenraum war klein und dunkel; er ähnelte der Zelle, in der sie gerade mit Fergal gesprochen hatte, außer dass es hier
trocken und in der Gefängniszelle feucht war. Fidelma sah ein Holzbett, einen Tisch mit Stuhl, ein Kruzifix und einige andere
Gegenstände. Sie schnupperte und bemerkte einen bittersüßen Geruch, der von der kleinen Feuerstelle ausging. Es roch nach
verbrannten Blättern des Krautes
stramóiniam
.
Der Brehon war hinter ihr eingetreten.
»Wurde außer dem Leichnam des Mädchens und Bruder Fergal noch etwas von hier entfernt?«, fragte Fidelma, während ihr Auge
auf ein Holzschälchen fiel, das auf dem Tisch stand.
»Wie du siehst, wurde nichts angerührt. Bruder Fergal lag im Bett da drüben, das Mädchen beim Kamin. Wir haben nur die Leiche
und Bruder Fergal mitgenommen. Sonst nichts, da uns nichts wichtig erschien.«
»Keine anderen Gegenstände?«
»Keine.«
|106| Fidelma trat zum Tisch, nahm das Schälchen hoch und roch daran. Es war noch ein wenig Flüssigkeit darin, und sie tauchte den
Finger hinein, hielt ihn sich unter die Nase und führte ihn an die Lippen. Sie verzog das Gesicht.
»Wie erklärst du dir als Brehon die Tatsache, dass Bruder Fergal, wenn er schuldig ist, Barrdub ermordet haben muss, dann
ins Bett gegangen ist, ihre Leiche hier liegen ließ und friedlich bis zum nächsten Morgen schlief? Jemand, der einen Mord
begangen hat, würde doch sicherlich erst alles Mögliche unternehmen, um die Leiche zu verbergen und alle Spuren des Verbrechens
zu beseitigen, falls jemand käme und es entdeckte?«
Der rundgesichtige Brehon nickte und lächelte.
»Darauf bin ich auch schon gekommen, Schwester Fidelma. Aber ich bin ein einfacher Richter. Ich habe mich mit dem zu beschäftigen,
was augenfällig ist, mich um die Indizien zu kümmern. In meiner Ausbildung hat man mir nicht beigebracht, mir darüber den
Kopf zu zerbrechen, warum ein Mann sich so verhält, wie er es tut. Ich interessiere mich nur dafür, ob er sich so verhalten
hat.«
Fidelma seufzte, stellte das Schälchen wieder ab und blickte sich noch einmal um, ehe sie die Klause verließ.
Draußen bemerkte sie einen dunklen Fleck an einem der vertikalen Steinpfeiler, die die Tür einrahmten. Er war ein wenig über
Schulterhöhe.
»Barrdubs Blut, nehme ich an?«
»Das ist vielleicht dorthin gelangt, als meine Leute die Leiche heraustrugen«, stellte der Brehon gleichgültig fest.
Fidelma betrachtete den Fleck eine Weile, ehe sie sich umwandte, um sich auch die Umgebung der Hütte genauer anzuschauen.
Zu beiden Seiten wurde des Gebäude von Baumreihen geschützt, die sich im Wind bogen, der über die Bergflanke |107| peitschte. Ringsum wuchs dichtes Farngestrüpp. Der Hauptpfad von der Hütte zum Dorf hinunter war schmal und ausgetreten. Ein
weiterer, noch schmalerer Pfad ging hinter dem Gebäude weiter den Berg hinauf, während ein dritter sich nach rechts an der
Bergflanke entlangschlängelte. Alle wurden sichtlich häufiger, als nur gelegentlich benutzt.
»Wo führen sie hin?«
Der Brehon war ein wenig überrascht über diese Frage.
»Auf dem Pfad den Berg hinauf kommt man zur Hütte des Einsiedlers Erca. Der am Hang entlang ist einer von den vielen Wegen,
die einen überall hinführen können. Man gelangt so auch ins Dorf.«
»Ich möchte Erca gern sehen«, sagte Fidelma.
Der Brehon wollte etwas erwidern, zuckte dann aber nur mit den Achseln.
Erca war genau so, wie Fidelma ihn sich vorgestellt hatte: ein dünner, schmutziger Mann, der in ein fadenscheiniges Gewand
gekleidet war. Sein Haar war zerzaust und verfilzt, und er hatte Glubschaugen. Kaum näherten sie sich seinem rauchenden Feuer,
ließ er
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