Der falsche Apostel
Lyrik, Literatur, Recht und Medizin besitzen, mit großer Autorität über alle Dinge reden
und schreiben und wortgewandt debattieren können.
»Ich war acht Jahre bei Brehon Morann«, entgegnete Fidelma.
»Dein Recht, vor Gericht als Anwältin aufzutreten, wird hier anerkannt, Schwester Fidelma.«
Die junge Nonne lächelte.
»In diesem Fall möchte ich mich auf mein Recht berufen, mit dem Angeklagten und dann mit den Zeugen zu sprechen.«
»Nun gut. Aber es kann vor Gericht nur einen Spruch geben. Die Beweise sind zu belastend, als dass man behaupten könnte, irgendjemand
außer Bruder Fergal könnte Barrdubs Mörder sein.«
|100| Wie der Brehon gesagt hatte, war Bruder Fergal ein gutaussehender junger Mann von kaum mehr als fünf- oder sechsundzwanzig
Jahren. Auf seinem blassen Gesicht spiegelte sich Verwirrung wider. Die braunen Augen waren weit aufgerissen, das rötliche
Haar zerzaust. Er sah aus wie jemand, den man aus dem Schlaf aufgeschreckt hat und der sich nun in einer Welt wiederfand,
die er nicht mehr erkannte. Er erhob sich unbeholfen, als Schwester Fidelma eintrat, und hüstelte nervös.
Der stämmige Gefängniswärter schloss die Tür hinter ihr, blieb aber draußen stehen.
»Gottes Gnade mit dir, Bruder Fergal«, grüßte sie ihn.
»Und Gottes und Mariens Gnade mit dir, Schwester«, antwortete der junge Mönch wie automatisch. Seine Stimme klang ein wenig
atemlos und keuchend.
»Ich bin Fidelma, und man hat mich von der Abtei geschickt, damit ich dich verteidige.«
Ein bitterer Zug zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes.
»Was soll das schon Gutes bringen? Der Brehon hat sich sein Urteil bereits gebildet und hält mich für schuldig.«
»Und bist du es?«
Fidelma setzte sich auf einen Schemel, der außer einem groben Strohsack das einzige Möbelstück in der Zelle war. Sie schaute
zu dem jungen Mönch auf.
»Bei der heiligen Muttergottes, ich bin unschuldig!« Der Ausruf war wütend und verzweifelt zugleich. Der junge Mann unterstrich
seine Antwort mit einem Hustenanfall.
»Besser, du setzt dich, Bruder«, sagte Fidelma fürsorglich. »Bei der Kälte hier ist es kein Wunder, dass du hustest.«
Der junge Mönch zuckte gleichgültig die Achseln.
»Ich leide nun schon einige Jahre an Asthma, Schwester. Ich lindere die Krankheit, indem ich den Rauch von brennenden |101| Blättern des
stramóiniam
inhaliere oder Kräutertee trinke, ehe ich mich zur Ruhe begebe. Aber leider wird mir dieser Luxus hier versagt.«
»Ich werde mit dem Brehon darüber sprechen«, versicherte ihm Schwester Fidelma. »Er ist kein uneinsichtiger Mann. Vielleicht
können wir einige Blätter und Fruchtkapseln des
stramóiniam
finden und dir schicken lassen.«
»Ich wäre sehr dankbar dafür.«
Schwester Fidelma erinnerte den jungen Mann nun daran, dass sie noch immer auf seine Version der Geschichte wartete.
Zögernd hockte er sich auf seinen Strohsack und hustete wieder.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Äbtissin hat mich vor vier Wochen zu den Eóghanacht von Cashel geschickt, damit ich
dort predige und mich um sie kümmere. Ich habe mir eine verlassene Zelle am Hang des blauen Berges, des Cnoc-gorm, wieder
aufgebaut. Eine Weile lang ging alles gut. Ich habe in diesem Teil von Éireann zweihundert Jahre nach der Bekehrung unseres
Volkes durch den heiligen Patrick tatsächlich noch Menschen vorgefunden, deren Herzen und Seelen nicht für die Sache Christi
gewonnen werden konnten. Das hat mich mit großer Traurigkeit erfüllt …«
»Ich habe mir sagen lassen, dass es hier jemanden gibt, der noch dem alten Druidenglauben anhängt«, ergänzte Fidelma ermunternd,
als der junge Mann zögerte und in Gedanken versunken schien.
»Der Einsiedler Erca? Ja, er lebt auch am Cnoc-gorm. Er hasst alle Christen.«
»Wirklich?«, fragte Fidelma nachdenklich. »Aber sag mir, was kannst du mir von den Ereignissen der Mordnacht berichten?«
Bruder Fergal verzog das Gesicht.
|102| »Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich in der Abenddämmerung in meine Klause zurückkehrte. Ich war erschöpft, denn ich
war an diesem Tag sechzehn Meilen gelaufen, hatte den Hirten in den Bergen das Wort Christi gebracht. Ich hatte Schmerzen
in der Brust, also machte ich mir meinen Kräutertee warm und trank ihn. Er hat mir gutgetan, denn ich schlief tief und fest.
Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war der Brehon, der über mir stand, und Congal war bei ihm. Congal schrie,
Weitere Kostenlose Bücher