Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
wuchtiger, massiver Studiertisch aus dunkel glänzendem Holz, wie eine Hütte auf einer weiten Waldlichtung. Dahinter saß ein Mann in einem blauen Umhang.
Als die Gefährten eintraten, sah Pretorius kurz auf, richtete seine Aufmerksamkeit aber gleich wieder auf die vor ihm ausgebreiteten Papiere. Pretorius trug einen dünnen, in seiner grauen Farbe schmutzig scheinenden Oberlippenbart, der sich bis weit über die Winkel des breiten Mundes herabzog. Das wenige, ebenfalls schmutzig graue Kopfhaar des Gelehrten umrahmte eine breite Stirn und fiel an den Seiten über die Ohren bis zum aufgestellten Kragen. Schmale Hände, auf deren Rücken sich blaue Adern abzeichneten, die in langen, bleichen Fingern endeten, hielten eine Pergamentrolle.
Als die Gefährten vor dem Schreibtisch in einer Reihe Aufstellung genommen hatten, trat Vast unterwürfig vor und sagte mit leiser Stimme:
„Herr Magier, Euer Diener hat
die Auserwählten hergebracht.“
Ohne aufzusehen hob Pretorius eine Hand und bat um Geduld. Alep bewegte sich unruhig von einem Bein auf das andere. Nun war er soweit gegangen, um diesen Mann zu treffen, hatte Not und Elend erlebt, nur um jetzt und hier untätig herumzustehen. Dabei brannten ihm so viele Fragen auf der Seele, dass er es kaum mehr aushielt. Die Zeit dehnte sich zu einer kleinen Ewigkeit, bis Pretorius endlich seinen Kopf hob. Ein violettfarbenes Augenpaar bohrte sich in seinen neugierigen Blick.
Der junge Elders zuckte unmerklich zurück. Kwin und Prak erging es nicht anders, als sie an die Reihe kamen. Einzig Wigget nahm die augenscheinliche Prüfung des Magiers gelassen hin und erwiderte dessen Blick mit gleicher Intensität. Pretorius erhob sich aus seinem Stuhl und kam um den Schreibtisch herum auf die Freunde zu, bis er in seiner ganzen Größe vor Alep und Kwin stehenblieb.
„Ich heiße euch im Namen König Antevers und des Stadtrates in Hornburg willkommen.“ Pretorius schaute zu Alep auf und sah ihm in die Augen.
Wer hätte das gedacht? fragte Wigget. Der mächtige Meistermagier ist kaum größer als ein Golem. Die Welt ist noch immer voller Wunder, findet Ihr nicht auch?
Pretorius sah Wigget an und kalte Wut funkelte seinen Augen. „Du bist für den Tod meines Dieners verantwortlich“, sagte er.
Wigget grinste und zeigte Zähne. „Immer zu Diensten!“
Pretorius kam langsam auf ihn zu. Alep hatte den Eindruck, als wollte der Magier den Drachen allein mit seinen Blicken durchbohren.
„Beim nächsten Mal wirst du nicht so einfach davonkommen. Zerstöre nie wieder mein Eigentum.“
Wigget betrachtete das Gesicht des Magiers, dann legte er den Kopf schief, und sagte: „Wenn Ihr Euren Bannzauber schneller über mich legen könnt, als ich es vermag, Euch in ein Häufchen Asche zu verwandeln, dann werde ich Euren Rat beherzigen, allein, ich glaube nicht daran. Und nun nehmt einen Rat von mir: wenn es Euren Geistern an Ehrgefühl und Gewissen mangelt, dann macht dafür niemand anderen als Euch selbst verantwortlich.“
Alep zog unwillkürlich den Kopf ein. Beide, Drache und Magier, sahen sich an, als wollte jeder beim anderen eine Unsicherheit entdecken. Es war ein wortloser Kampf um Vorherrschaft und Macht, wie ihn Alep zuvor nicht erlebt hatte. Er spürte deutlich die magischen Energien, die von Pretorius ausgingen und mit deren Hilfe er sich einen Vorteil in diesem Kampf des Willens gegenüber Wigget verschaffen wollte. Doch die Magie des Zauberers blieb wirkungslos und zu seiner Überraschung war es Pretorius, der als erster nachgab. Mit einer wegwerfenden Handbewegung erhob er seine Stimme: „Vergessen wir diesen Vorfall fürs Erste. Knoll ist schon seit den späten Mittagsstunden wieder in meinen Diensten. Es ist also kein Schaden entstanden. Keiner, den ich nicht wieder ausgleichen konnte.“ Mit dem Finger deutete er auf den feuchten Lehm, der Alep schon beim Eintreten aufgefallen war. Pretorius ging zu seinem Schreibtisch zurück. Müde ließ er sich in den Stuhl fallen. Er legte beide Hände flach auf den Tisch und betrachtete die Gefährten.
Ein Anflug von Neid überkam ihn, als er der tiefen und vielschichtigen Beziehungen zwischen Alep und Kwin gewahr wurde. Aber noch etwas weit ungewöhnlicheres als Freundschaft offenbarte sich ihm. Zwischen beiden bestand eine magische Verknüpfung, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Das Muster dieser Verbindung war vielschichtig und verworren. Nur mühsam gelang es ihm, die einzelnen Schichten zu durchdringen und das
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