Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
hier auf.“ Rodgatts Augen funkelten vor hilfloser Wut. „Über dieser Höhle liegt ein Zauber, ein Bannspruch, der die armen Wesen gefangen hält und ihre letzten Kräfte aufzehrt, bis sie nur noch leere Hüllen sind. Die Hülle aber entzieht dem Land die Magie, bis zuletzt nichts mehr übrigbleibt. Der Meistermagier wird am Ende allein über die Magie gebieten.“ Rodgatt verstummte unvermittelt und sah Kwin fest in die Augen.
„Außer?“, fragte Kwin.
Der alte Magier senkte seinen Blick und dachte angestrengt nach. Der Moment, in dem er seine Entscheidung treffen musste, war gekommen. Sein Blick glitt über die grauen, wie tot anmutenden Gesichter der gescheiterten Auserwählten. Für jeden noch so kleinen Zweifel an seiner Fügsamkeit würde Pretorius ihn töten. Und selbst wenn er die Befehle des Meistermagiers befolgte, glaubte Rodgatt kein Wort der gemachten Versprechungen. Pretorius musste ihn töten, um sicher zu sein, dass sein Verrat an Volk und König niemals aufgedeckt werden würde. Rodgatt konnte es drehen und wenden, wie er wollte, am Ende würde er sterben. „Außer“, antwortete er Kwin, der geduldig gewartet hatte, „der Wächtergolem wird vernichtet und der Bannzauber gebrochen. Dann wird die Magie von ihrer Fessel befreit und kehrt wieder zurück. Das ist die Antwort auf deine Frage und zugleich eine der beiden Aufgaben des Auserwählten.“ Rodgatt sah sich argwöhnisch um. „Und jetzt sollten wir schleunigst von hier verschwinden, bevor wir entdeckt werden. Es gibt nur einen Ausgang hier und ich möchte nicht dem Wächtergolem begegnen. Das wäre mein sicherer Tod. Und deiner auch.“
Einige Zeit später fragte Kwin: „Worin besteht die zweite Aufgabe? Vorausgesetzt, ich bestehe diese Prüfung.“
Der alte Mann schaute gedankenverloren in den blauen Himmel hinauf und schien Kwin nicht zu hören. Ein feines Lächeln lag um seinen alten, faltigen Mund, ein Lächeln, das Kwin nun schon einige Male auf Rodgatts Gesicht ausgemacht hatte. Anfangs hatte Kwin versucht, Rodgatt durch wiederholte Nennung seines Namens auf sich aufmerksam zu machen, musste aber bald einsehen, dass der Magier nicht auf ihn reagierte. Kwin setzte sich neben Twist ins Gras und wartete. Irgnedwann würde der Alte Er würde am Gesicht des Alten ablesen können, wann er bereit war, seine Frage zu verstehen und zu beantworten, und zwar dann, wenn sich das angedeutete Schmunzeln in ein breites Lächeln verwandelte, oder wenn sich seine Züge verdüsterten. In beiden Fällen war hinterher kaum mit ihm zu reden und es dauerte eine Weile, bis Rodgatt seine Freude oder die folgende Schwermut wieder abgelegt hatte. Der Magier hatte Kwin nie an seinen Gedanken teilhaben lassen und Kwin wäre nicht soweit gegangen, danach zu fragen. Es interessierte ihn auch nicht, was der Alte dachte, wenn dieser seine Gedanken auf die Reise schickte und in längst vergangene Zeiten zurückkehrte. Denn soviel glaubte Kwin zu wissen, dass die willkürlich auftretenden Einfälle nichts weiter waren als Erinnerungen aus seinem früheren Leben.
Kwin ahnte freilich nicht, wie nahe seine Vermutung bei der Wahrheit lag. Rodgatt, der nun schon eine Ewigkeit hier lebte, die die zweitausend Jahre seit seinem Tod durch die verzerrte Zeit im Talikon um ein vielfaches überschritt, versank häufig in den Erinnerungen jener Tage, als er des Königs erster Ratgeber gewesen war. Insgeheim gab er sich selbst die Schuld an der Entwicklung der Ereignisse, an Pretorius Aufstieg und dessen Kontrolle über die Magie. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass ein einzelner seine Aufzeichnungen in der Prophezeiung zum eigenen Nutzen einsetzen und die Magie an sich zu binden vermochte und so die Weissagung überhaupt erst in Gang setzen konnte. Nichts davon hatte der Wahrbrunnen ihm offenbart. Erst als der Wächter zum ersten Mal im Talikon aufgetaucht war, kam der ehemalige Magier diesem Geheimnis nach und nach auf die Spur. Doch schwerer noch als diese Erkenntnis wog der eigene Verlust der Magie, der mit dem Übergang in das Talikon in der Stunde seines körperlichen Todes einhergegangen war. Seit diesem Augenblick war er von der geheimnisvollen Kraft, die sein Leben bestimmt hatte, auf immer abgeschnitten. Und gerade in den letzten Jahren hatte er ihre Abwesenheit aufs schmerzlichste vermisst. Insbesondere seit dem Tag, als Pretorius ihn ausfindig gemacht und vor die Wahl gestellt hatte, entweder sich ihm anzuschließen, oder zu sterben. Rodgatt
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