Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
junger Schützling kein Magier ist.“
“Ich weiß es nicht“, erwiderte Rodgatt. Er setzte sich auf und lehnte seinen Rücken an die raue Rinde der Eberesche. “Was würdest du tun?“
“Ihn lehren, was ich ihn lehren kann und dann hoffen, dass es ihm gelingt.“
“Haben wir etwas übersehen?“, fragte der Magier grüblerisch. “Haben wir einen Fehler gemacht?“
“Natürlich haben wir das“, bestätigte die Eberesche. “Wir waren nicht vollkommen, mein Freund. Wir sind unseren Herzen gefolgt, zu selten dem Verstand. Erinnere dich an deine Worte. Du warst und bist nur der Wegbereiter für den Auserwählten. Wir haben dafür gesorgt, dass einer den Weg finden kann, aber beschreiten muss er ihn aus eigenem Antrieb. Wir wussten nicht, wer es sein wird, der unserem Ruf folgt. Du wolltest ein Lebewesen aus der wirklichen Welt, dass die gleichen Ideale vertritt wie du selbst... “
“Ja. Aber die Ereignisse haben einen gänzlich anderen Verlauf genommen. Ich fürchte mich vor dem Augenblick, da mir der falsche Auserwählte gegenübersteht. Und dieser junge Tischler ...“
“... ist so gut wie jeder andere.“ Die alte Eberesche erbebte.
“Was ist mit dir?“, frage Rodgatt bestürzt.
“Still! Jemand hat das Tor passiert.“
“Wo ist der Wächter?“
“In der Nähe.“
“Ist er es?“, fragte Rodgatt verunsichert.
“Ja! Lauf los und beeile dich. Viel Glück! “
Nachdem Kwin das Tor zum Talikon durchschritten hatte, fühlte er sich im ersten Augenblick, als wäre er durch dichten Nebel gegangen. Er hatte sich natürlich gefragt, was ihn hinter dem Tor erwarten würde. Er hatte mit einem Tunnel gerechnet, mit weiteren Höhlengängen, die ihn tiefer in den Berg hineinführten, aber er stand unter einem sonnenbeschienenen Himmel inmitten einer endlosen Graslandschaft, auf der vereinzelt Bäume wuchsen. In der Ferne erkannte er riesige Waldgebiete und ein vertrauter Körper drückte sich plötzlich und unerwartet an sein Bein. Kwin fiel auf ein Knie und umarmte Twist lachend, begrüßte ihn und schimpfte zugleich, weil er nicht zurückgeblieben war. Twist ertrug es mit der ihm eigenen Gelassenheit.
Kwin suchte nach Spuren von Pail Milaz, fand aber keine. Er entschied sich daraufhin schulterzuckend für eine Richtung und marschierte einfach drauflos. Es gab hier keine Wege oder Pfade, denen er hätte folgen können und die ihn früher oder später an ein noch unbekanntes Ziel gebracht hätten. Das knöchelhohe Gras, das eine seltsame bläuliche Färbung aufwies, behinderte ihn nicht beim Gehen und so schritt er kräftig aus. Je weiter er ging, desto mehr gewöhnte er sich an die seltsam anmutende Landschaft und die beständige Stille, die darin herrschte.
Kwin fragte sich besorgt, worin die Prüfung wohl bestehen mochte, die er abzulegen hatte? Und was würde passieren, wenn er scheiterte? Bedeutete das zugleich sein Ende? Er schüttelte den Kopf und vertrieb die beängstigenden Gedanken. Hier war er und nun sollte geschehen, was geschehen musste. Er blieb stehen und sah sich prüfend um. Er betrachtete Twist, aber der große Hund hatte sich auf seine Hinterläufe gesetzt und schaute unbeteiligt in die Ferne. Doch auch wenn Twist kein Zeichen einer nahenden Gefahr bemerkte und dieses Land ruhig und friedvoll schien, wurde Kwin das Gefühl nicht los, dass er sich in eine Gefahr begeben hatte, der er am Ende womöglich nicht gewachsen war. Er spürte es genau: er und Twist gehörten nicht hierher. Wachsam und vorsichtig setzte er seinen Weg fort. Twist trottete gemächlich neben ihm her und Kwin war froh, dass der Hund, mit dem er so viele Abenteuer bestanden hatte, ihn begleitete.
Es verunsicherte ihn, dass Pail Milaz so spurlos verschwunden war. Kwin prüfte unablässig das hohe Gras, aber er fand keine Spur von ihm. Was war Pail widerfahren? Wo waren all die anderen, die sich vor ihm der Prüfung gestellt hatten?
Sie liefen den ganzen Vormittag lang der aufgehenden Sonne entgegen. Irgendwann, als er glaubte, die Mittagszeit müsse längst vorüber sein, sah er zur Sonne auf und wollte nicht glauben, was er sah. Es war noch immer später Vormittag. Die Sonne hatte sich nicht weiterbewegt. Kwin versuchte eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden, blieb aber ratlos. Dieses Land war mit nichts zu vergleichen. Fremd und furchteinflößend war es. Kwin hatte das Gefühl, inmitten eines riesigen Gräberfeldes zu stehen. Wo waren die Vögel, die Tiere der Wälder und Wiesen? Und wo war der
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