Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Und doch steckte in dieser Überlegung ein Anhaltspunkt, eine einzige richtungsweisende Idee, das spürte er genau. Doch so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, diesen Funken von Verstehen zu fassen oder gar zu benennen.
Nach drei Wochen im Wald wurde Twist krank. Kwin hatte die Anzeichen schon früher bemerkt, ihnen aber keine Beachtung geschenkt, weil er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Der große Hund brach plötzlich zusammen und blieb reglos liegen. Kwin eilte entsetzt an seine Seite und kniete sich neben seinem Gefährten nieder. Angst schnürte ihm die Kehle zu, während er Twist mit zitternden Händen untersuchte. In diesem Augenblick wünschte er nichts sehnlicher, als dass Alep zur Stelle wäre, um Twist zu heilen. Kwin betrachtete das Fell des Wolfshundes. Es war stumpf und er konnte jeden einzelnen Knochen fühlen, die sich allesamt scharf und deutlich unter dem struppigen Fell abtasten ließen. Twist war völlig abgemagert.
Kwin presste sein Ohr an die breite Brust des Hundes und ahnte den langsamen Herzschlag mehr, als er ihn hörte. Die lange Zeit im Talikon und danach im Nachtwald, in der sie sich ausschließlich von Früchten und Nüssen ernährt hatten, hatten die Kraftreserven des Wolfshundes aufgezehrt. Twist brauchte dringend Fleisch. Kwin war verzweifelt. Hier gab es nichts, was Twist vor seinem sicheren Tod retten konnte. Sie mussten den Nachtwald und das Talikon augenblicklich verlassen, nach Burnyk zurückkehren, oder Twist würde sterben. Die Prophezeiung, Rodgatt, Alep und Pretorius, alles war vergessen. Kwin hob Twist auf und trug ihn durch den Wald. Aber schon nach wenigen Schritten wurde er von einer knarrenden Stimme aufgehalten. „Der Tischler verlässt den Nachtwald erst, nachdem er den Weg des Gleichen Klangs beschritten hat.“
Kwin sah erschrocken auf. Solange hatte er auf ein Zeichen gewartet, und jetzt, da ihm und Twist die Zeit davonlief, jetzt, wo es viel zu spät war, jetzt endlich sprachen sie. Dann erklang eine andere Stimme, nicht weniger knarrend, aber ebenso bestimmt. Kwin erkannte eine Eberesche.
„Die Prüfung erwartet den Tischler. Und wollte er nicht zuvor der Weisung Rodgatts folgen und die letzten Geheimnisse der wahren Tischlerei ergründen? Nun rennt er davon, schneller als der Wind.“
Dann fiel eine Eiche ein. „Er hat seine Zeit schlecht genutzt, dabei steht die Antwort beständig vor ihm. Rodgatt hat sich in ihm geirrt. Wie bedauerlich!“
Eine Eberesche sagte: „Kein Fleisch für das Tier! Keine Einsicht für den Mensch. Der Wolf stirbt, wenn er nicht jagt. Was jagt der Tischler?“
„Halt“, brüllte Kwin.
Aber die Eberesche ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „... Wer tötet den Riesen im eigenen Land? Der Held oder gar der Feigling?“
Eine Ulme nahm den Gedanken auf: „Wem nützt des Riesen Tod?“
Eine Linde fragte: „Wem nützt des Riesen Leben?“
„Genug!“, unterbrach ein Ahorn mit einer Stimme, die alle anderen übertönte. „Der Tischler bleibt. Ihr anderen aber schweigt! Alle!“
Kwin sah sich wütend um. Da stand der Silberahorn. „Ich bleibe nicht“, brüllte er laut. Twist winselte leise und ruhiger fuhr Kwin fort: „Ich fürchte um das Leben meines treuen Gefährten. Ich werde gehen, doch ich verspreche zurückzukehren und mich der Prüfung zu stellen.“
„Du bleibst. Dir wird nicht erlaubt, den Nachtwald zu verlassen.“
Kwin hörte nicht mehr zu. Vorsichtig hatte er Twist auf dem weichen Waldboden abgelegt. „Ihr haltet mich nicht auf“, sagte er drohend.
„Wir haben Armeen, ja ganze Völker aufgehalten, Mensch. Sieh her.“
Vor Kwin senkten sich die unteren Äste der umstehenden Bäume noch tiefer, streckten und dehnten sich bis sich ihre Spitzen berührten, sich ineinander verdrehten und einander umschlangen bis er umgeben war von einer undurchdringlichen Wand aus Holz und Blättern.
Mit grimmigem Blick sah Kwin sich um. Nur wenige Schritt von ihm entfernt lag ein dicker Ast, nein, es war eine Axt. Kwin schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen, doch das Ding blieb ein Ast, nein, eine Axt. Er näherte sich zögernd, während der Ahorn von neuem zu sprechen begann. „Unser Schicksal und die Zukunft des Landes steht über dem deines Wolfes.“
„Nein!“, brüllte Kwin, stürzte vor und nahm die Axt auf. Mit zwei weiteren Schritten hatte er eine Ulme erreicht. Kwin spürte einen unbändigen Zorn in sich. Mit seinen kräftigen Händen umschloss er den Schaft und
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