Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
oder dem Ende seines Lebens mit gleichbleibender, furchteinflößender Geschwindigkeit.
Kwin ließ seinen Blick nachdenklich über die Lichtung schweifen und langsam formte sich ein Bild in seinem Geist von diesem Ort, der mit wenigen, ausgesuchten Bäumen bewachsen war. Lange grübelte er über die richtige Anordnung und die Art eines jeden Baumes. Irgendwann erhob er sich und stapfte schwermütig zurück zu seinem Lager. Twist folgte ihm nicht. Er verschwand in entgegengesetzter Richtung.
Kwin erwachte schon nach wenigen Stunden und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frisch und ausgeruht. Als er die kleine Lichtung gestern in seinem Geist mit Bäumen bepflanzt hatte, wusste er, das sein Vorhaben gut und richtig war. Vielleicht trieb ihn auch der Wunsch, Wiedergutmachung dort zu leisten, wo er sich eines Erfolges sicher sein konnte. Und für all die Bäume, die er gefällt hatte, wollte er nun einen Ausgleich schaffen und die Sämlinge zugleich jenen zueignen, die er so schmerzlich vermisste.
Er wanderte lange umher und sammelte Früchte und Samen. Er nahm sich Zeit, wählte sorgfältig aus, prüfte und entschied sich schließlich für diese oder jene Frucht, diesen oder jenen Samen. Weitere zwei Tage vergingen, in denen Kwin selten an die ihm gesetzte Frist dachte, so sehr nahm ihn die Gestaltung der Lichtung gefangen Einmal fand er eine Haselnuss. Er nahm sie auf, prüfte sie und legte sie behutsam wieder zurück. Sie schimmerte im gleichen Blau wie das Gras, durch das er tagtäglich wanderte.
Am 27. Tag seiner Gefangenschaft kehrte Kwin mit den handverlesenen Schätzen zu seiner Lichtung zurück. Für jeden seiner Lieben, die er hier vermisste, und die er nicht wiedersehen sollte, setzte er einen Sämling: eine Linde für Lisett, eine Esche für Alep, eine Ulme für seinen Vater Wittlop, eine Buche für seine Mutter Arna, eine Birke für Oma Elders, eine Kastanie für Meister Borken, einen Nussbaum für die kleine Rina, und ein Dutzend Platanen für jene, die bei dem Schlangenangriff auf Bitterquell ums Leben gekommen waren. Zuletzt pflanzte er einen Ahornschössling für sich selbst.
Kwin sah auf die Erde hinab, dort, wo er den Silberahorn gesetzt hatte. Dieser Ahorn würde bestehen bleiben, so wie alle anderen seiner Sämlinge auch. Mehr noch, sie würden ewig leben und niemals gefällt werden, weder von einem Handwerker, noch von einem wahren Tischler oder Zimmermann. Hier lebte das Zeitalter des Gleichklangs in seiner reinen, ursprünglichen Form weiter fort. So sollte es auch in seiner Welt sein. Die perfekte Harmonie zwischen Pflanze und Mensch. Doch diese Zeiten waren für immer vergangen. Soviel schien verloren, was einstmals die Ära des Gleichklangs ausgezeichnet und bestimmt hatte, und alles, was er selbst jemals gelernt hatte, würde hier mit ihm vergehen müssen. Gab es einen Unterschied zwischen ihm und den Bäumen des Nachtwaldes, die ihm ihren Willen aufzwangen, ohne ihn zu töten? War es ein Unterschied, ob er die Bäume in eine andere Daseinsform überführte, indem er ihre Magie erhielt, oder ob dieser Wald ihn in eine andere Daseinsform überführte?
Kwin sah hinauf in den wolkenlosen Himmel und wünschte sich schwere schwarze Regenwolken herbei. Alep wäre bestimmt in der Lage, Regen zu machen. Alep war ein fähiger Magier.
Der 28. Tag ging zu Ende und Kwin schlief in dieser Nacht unruhig. Tags darauf war Twist wieder verschwunden, aber schlimmer noch als das Alleinsein war, dass Kwin sich um einen Tag verrechnet hatte. Sein letzter Tag, der dreißigste, hatte begonnen. Niemand brauchte ihm das zu sagen. als er aufwachte, wusste er es augenblicklich. Twist war nicht da und die Ruhe, die ihn umgab, schloss jeden weiteren Zweifel aus. Das beständige Raunen und Wispern war verstummt.
Kwin wusste nicht, was ihm nach Ablauf dieses Tages widerfahren würde und so ging er gemächlich durch den Wald, bis er seine Lichtung erreichte. Er setzte sich zwischen die Schösslinge und ließ sich von der Sonne wärmen. Hier wollte er sitzen und warten. Seltsam, in einer Welt, in der es für Gewalt eigentlich keinen Platz zu geben schien, wurde ihm die Freiheit genommen, zu gehen, wohin er wollte. Was mochte das Morgen bringen? Würde er ein Baum werden und ewig leben, so wie alle Bäume hier? Wieder erinnerte er sich an die Worte der Eiche: „Lerne von denen, die ewig leben!“
Das wahre Handwerk, das ihm alles bedeutet hatte, auch von ihm hatte er sich inzwischen
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