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Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Titel: Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Merten
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Zweig, der aufrecht aus dem Waldboden ragte, und schüttelte den Kopf. „Selbst bei seiner geringen Größe reicht das Material bei weitem nicht aus.“
    „Doch, das wird es! Wir werden jetzt singen.“
    Der Ahorn stimmte ein Lied an, das Kwin am Tag zuvor gelernt hatte und in das er sogleich mit einfiel. Als es zu Ende war, begann der Ahorn von neuem und noch während die so ungleichen Stimmen von Baum und Mensch durch den Wald hallten, regte sich der Zweig in der Erde. Stockend, aber unaufhaltsam wuchs er empor. Neue Triebe sprossen aus dem sich ausdehnenden Stamm, bildeten weitere, kleine Zweige, die bald zu Ästen wurden, an deren Ende wiederum neue Zweige sprossen. Kwin erlebte zum ersten Mal, wie ein Baum emporwuchs und war ergriffen von diesem einzigartigen Ereignis. Mitten im Lied wechselte der Ahorn plötzlich die Tonart und sang eine andere Melodie. Kwin folgte der Vorgabe des Baumes, und das Wachstum des Zweiges endete ebenso plötzlich wie es begonnen hatte. Kwins Stimme sank zu einem Flüstern herab, als er sah, wie sich die gerade entfalteten Blätter verfärbten und schließlich zu Boden fielen. Innerhalb kürzester Zeit stand der junge Baum, der etwa Kwins Höhe erreicht hatte, kahl vor ihm. Gleich nach den Blättern brachen die Zweige und Äste ab, und kaum, dass sie den Boden berührt hatten, zerfielen sie zu Staub. Zurück blieb ein kahler Baumstamm, der sich zuletzt sanft zur Seite neigte und schließlich aus der Erde brach. Kwin sah, dass der Baum keine Wurzeln besaß. Das Ende, das in der Erde gesteckt hatte, war glatt und abgerundet.
    Kwin hatte längst aufgehört zu singen, so sehr hatten die Ereignisse ihn überrascht. Der Ahorn aber beendete den Gesang und sagte dann: „Fertig, Tischler! Das ist dein Material für den Freigolem. Der Stamm wird hier liegen, bis sich erwiesen hat, dass du der Auserwählte bist.“
    „Was habe ich zu tun?“, fragte Kwin.
    „Es liegt nicht in meiner Macht, dir das zu sagen. Suche und finde den Weg des Gleichen Klangs. Wenn du der wahre Auserwählte bist, wird er sich dir offenbaren.“
     
    Noch ein Rätsel! Aber für Kwin begann nun eine glücklichere Zeit, auch wenn ihm nach wie vor das Verlassen des Waldes verwehrt war. Ständig war er auf der Suche nach einem Fingerzeig, der ihm den Weg zu seiner letzten Prüfung weisen könnte. Doch die Bäume und Pflanzen waren unnachgiebig und schwiegen beharrlich, wenn er dieses Thema zur Sprache brachte. Aber da gab es noch den Silberahorn mit Namen Eichenherz, zu dem er sich wie zu keinem anderen Baumwesen zuvor hingezogen fühlte. Nach der langen Zeit des Schweigens, die er hatte erdulden müssen, war er nun begierig nach einem gedanklichen Austausch. Der Silberahorn war Kwins getreuer Begleiter durch diese Tage und Kwin fand endlich die Bestätigung für seine Vermutungen über die Verbindung zwischen ihm und dem einen Baum, der mit ihm als Tischler des wahren Handwerks am engsten verbunden war. Es war der Silberahorn. Der gleiche Baum, aus dessen Holz er vor Jahr und Tag Wigget geschnitzt hatte.
    Kwin genoss die langen Gespräche mit Eichenherz und seine Fragen und Folgerungen waren das Ergebnis seines klaren Geistes und seiner raschen Auffassungsgabe. Doch die Fragen und Entgegnungen des Ahorns zeugten vom tiefen Verständigens beider Welten, waren gepaart mit großer Weisheit und stellten den jungen Tischler manches Mal vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten. Aber beide hatten Freude an der Weißbegier des Anderen und zum ersten Mal in seinem Leben spürte Kwin eine Ahnung von reinem Verständnis für das Leben der Bäume. Freilich blieb es nur eine Ahnung, die nicht über die Grenzen des Äußeren hinaus reichen konnte, um das gänzlich Fremde in all seiner Vielfalt zu erfassen. Einzig die Veränderung, die Twist in dieser Zeit durchmachte, erfüllten sein junges Herz mit Kummer.
    So verging die Zeit und Kwin vergaß mehr und mehr, weshalb er im Nachtwald war, vergaß seine Gefährten und die Prophezeiung und stand kurz davor, sich selbst im Talikon zu verlieren. Er schlief zu Füßen Eichenherz’, sammelte nach dem Erwachen hastig Beeren und Nüsse, gerade genug, um seinen ärgsten Hunger zu stillen und gab sich ganz der anmutigen Stimmung hin, die ihm der Austausch mit Eichenherz bescherte.
    Irgendwann saß er auf weichem Moos und hatte den Rücken an Eichenherz’ Stamm gelehnt.
    „Du musst nun gehen, Kwin Bohnthal. Deine Welt wartet auf den Auserwählten.“
    Kwin schüttelte den Kopf, als erwachte er

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