Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
tatkräftiger Unterstützung einer Erle und eines Ahorns es schilderte, riefen die Lieder und Melodien, die er sang, die Magie des Landes herbei, mit dem Wunsch und Willen, die Bäume in eine andere Daseinsform zu überführen.
Der Ahorn erklärte ihm, dass nur mit Hilfe der Magie das Leben im Holz erhalten bleiben konnte und sagte dann: „Bestrafe dich nicht für etwas, das du bislang mit reinem Gewissen getan hast. Durch die Magie war es für meine Geschwister in deiner Welt ein sanfter Tod. Allein, es blieb doch ein Ende. Das Leben ist unwiderruflich vergangen. Und gerade für dich muss doch das Leben eines Baumes das Wichtigste überhaupt sein. Und nun, Tischler, höre.“
Der Ahorn stimmte ein Lied an, das er einem verblüfften Kwin mit knisternder Stimme darbrachte. Ein Rascheln und Raunen erhob sich ringsum und Kwin bemerkte überrascht, dass sich die Bäume bewegten. Sanft schwangen ihre Äste hin und her, auf und ab. Kwin hatte das Gefühl, als lockten die Bäume ihn näher heran, als vernähme er eine kräftige Stimme, die ihn aufforderte, seine Zehen tief in den weichen, warmen Boden zu krallen, seine Arme auszubreiten, neue Triebe zu bilden, Äste, Zweige und Blätter, emporzuwachsen ans Licht und für immer auszuharren.
Kaum hatte der Ahorn seinen Gesang beendet, fing er gleich noch einmal von vorne an und eine Birke gab Kwin zu verstehen, mitzusingen. Anfangs summte er die Melodie lediglich leise mit, doch nach und nach prägte er sich die Worte ein und schließlich sang auch er.
„Sehr gut“, lobte der Ahorn bald darauf. „Jetzt das nächste!“
Der Baum sang nun von der Vergänglichkeit des Lebens, so eindringlich und voller Leidenschaft, dass Kwin sich gar nicht mehr sicher war, ob er das Lied nicht doch um seiner selbst Willen sang. Denn das dachte sich Kwin sehr wohl: mit dem Übergang ins Talikon, der ihm und allen Bäumen ein immerwährendes Leben geschenkt hatte, waren doch auch Freiheit und Behändigkeit zurückgeblieben, über die er einst verfügt hatte. Schließlich war auch dieses Lied zu Ende gesungen und der Ahorn forderte mit sanfter Stimme: „Noch einmal zusammen.“
So lernte Kwin das zweite Lied des Waldes, doch die Bäume kannten viele Lieder und Kwin sang, bis seine Stimme nur noch ein heiseres Krächzen war. Er sang viele Stunden, die Bäume fordernd und zuweilen flehentlich, er selbst aber besinnlich und gedankenverloren. Irgendwann hörte Kwin auf, die Lieder zu zählen, die man ihm beibrachte, und erst sehr viel später gebot der Ahornbaum, dass es nun genug sei und ein völlig erschöpfter Kwin fiel, wo er stand, und schlief augenblicklich ein.
Am nächsten Morgen war Kwins Stimme rau und er brachte nicht viel mehr als ein heiseres Flüstern zustande. Gleich nachdem er eine Handvoll Beeren gegessen hatte, fragte der Ahorn, ob er noch das Zweiglein hätte, das ihm die Eiche tags zuvor geschenkt hatte. Kwin griff in seine Tasche und zog es vorsichtig heraus.
Der Ahorn forderte Kwin auf, ein wenig zurückzutreten und ein tiefe Mulde in den Waldboden zu graben, in der er das Zweiglein hineinstecken sollte, so dass es aufrecht stand. Wie schon zuvor begann der Baum seine Unterweisung mit dem gleichen Worten: „Höre, Tischler. Dies ist die letzte Lehre, die wir dir geben. Die Geschenke der Bäume sind unterschiedlich. Einige Gaben sind weniger geeignet als andere, das Gewünschte entstehen zu lassen. Aus einem Blatt zum Beispiel oder einer Frucht fällt es schwerer, neues Leben zu erschaffen. Du besitzt einen Eichenzweig. In einem Zweig ruht immer genug Lebenskraft. Nun wollen wir sehen, was wir aus diesem Zweiglein machen können, damit du dein Werkstück anfertigen kannst.“
„Ein Werkstück? Welches? Wozu?“, fragte Kwin
„Geduld! Jenes Werkstück, das der wahre Auserwählte anfertigen muss, um die Prophezeiung zu erfüllen. Höre: wenn du dieses Land als der Auserwählte der Weissagung verlässt und zu deinen Freunden zurückgekehrt bist, wirst du einen Golem erschaffen. Einen Freigeist, der imstande ist, die Macht des Magiers und die seines Wächters in unserem Land zu brechen. Der Wächtergolem hat die Größe eines Trolls.
Dein junger Freund, Alep aus dem Flachen Land, hat sich inzwischen als Magier bewährt. Seine Aufgabe wird es sein, den Golem zu beleben. Der Freigolem muss alle vier Elemente in sich vereinen. Die Erde, das Wasser, die Luft und das Feuer. Wie du das vollbringst, bleibt dir überlassen. Nun zu deinem Werkstück.“
Kwin betrachtete den
Weitere Kostenlose Bücher