Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Es eignet sich als Bauholz oder zur Fertigung von Möbeln.“
„Sehr schön. Wenn der Tisch aus lebendigem Holz sein soll, wirst du lebendes Buchenholz schlagen. Aber nicht jede Buche möchte ihre gegenwärtige Form aufgeben und eine andere Gestalt annehmen. Du wirst also solange jede einzelne Buche befragen müssen, bis du die richtige findest. Wenn du deine Sinne öffnest und bereit bist, die Botschaft des Baumes aufzunehmen, wirst du sehen und hören und verstehen können.“
Borken machte eine kurze Pause. Dann traf er eine Entscheidung.
„Das soll deine erste Aufgabe sein: Lerne die Sprache der Bäume. Du wirst in den Spahnwald nördlich von Bitterquell gehen und dort solange bleiben, bis du die Bäume verstehst.“
„Allein?“
„Ja, allein! Wenn du lernen willst, musst du gehen. Fürchtest du dich?“
„Nein, natürlich nicht. Ich dachte nur, ...“
„Dann pack deine Sachen zusammen“, unterbrach Borken seinen Schüler und sprühte förmlich vor Tatendrang. Nicht so Kwin. Er stellte erstaunt fest, dass er sich zum ersten Mal zurück in die Schmiede zu Handemann wünschte, seit er Borkens Werkstatt betreten hatte.
Meister Borken gab Kwin einen Schlafsack, eine Zeltplane aus Segeltuch, ein einfaches Kochgeschirr, Messer, Gabel, Löffel, Werkzeuge, darunter ein kleiner Hammer, Zange, Handsäge, ein paar Stecheisen unterschiedlicher Größe, ein Seil, einige Vorräte und einen großen Rucksack, indem er alles verstauen konnte. Er wünschte Kwin viel Glück und drückte ihm feierlich die Hand.
„Wenn dir dein Vorhaben gelingt, hast du den schwierigsten Teil deiner Ausbildung hinter dir.“
Am späten Vormittag erreichte Kwin den Spahnwald. Die Ausführungen des Tischlermeisters hatten ihn verunsichert. Er betrachtete die Bäume mit einem unangenehmen Gefühl und fragte sich, was sie in ihm sahen - falls sie dazu in der Lage waren - und was sie über ihn dachten. Schon jetzt, da er noch am Waldrand stand, fühlte er sich auf eigentümliche Weise beobachtet. Ihm war unheimlich zumute. Er fuhr sich durch sein Haar und sah sich prüfend um. Direkt rechts von ihm stand eine Buche. Er musterte sie lange. Dann zuckte er die Schultern und trat langsam näher. Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten und legte seine Hände vorsichtig an die Rinde. Nichts geschah. Er hörte die weithin hallenden Geräusche des Waldes; das beständige Knarren alter Äste, der Wind im hohen Blätterdach, die Vögel darin und das gleichmäßige Schlagen eines Spechtes in der Ferne. Er verharrte noch einen Augenblick, bevor er einen Schritt zurücktrat und seinen Rucksack wieder aufnahm. Nachdenklich betrachtete er den Baum.
Er blickte noch einmal zurück über die sanft geschwungenen Wiesen und Felder. In der Ferne sah er Bitterquell. Der Bitterfluss, der einige hundert Meter von seinem Standort entfernt aus dem Spahnwald trat und dann zum Dorf hinunterfloss, zog sich wie ein silbernes Band durch das Grün und Braun des Flachen Landes, bis er im Westen verschwand. Der Himmel spannte sich fast wolkenlos darüber. Überall blühte es. Ein gutes Leben. Aber er musste nun Abschied nehmen, wollte er diesen Teil seiner Ausbildung erfolgreich bestehen. Vorsichtig trat er in den Wald. Er erwartete fast, dass irgend etwas Seltsames geschah. Alles schien so wie immer. Der Wald war der gleiche, wie er ihn seit jeher kannte. Aber Kwin war nicht mehr derselbe. Borken hatte eine Vorstellung von denkenden, sprechenden Pflanzen in ihm wachgerufen, die ihn nun alles in einem anderen Licht sehen ließ. Langsam und zögernd ging er weiter. Als er einige Stunden auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz dahingegangen und nichts Ungewöhnliches passiert war, legte sich seine Anspannung und das bedrückende Gefühl.
Drei lange Monate lebte Kwin im Spahnwald, ohne dass er auch nur den geringsten Fortschritt erzielte. Für ihn war es eine Zeit der Entbehrungen aber gleichzeitig auch eine Zeit des Lernens und Verstehens. Zu Anfang fiel es ihm schwer, sich an die unbekannte Umgebung des Waldes zu gewöhnen, besonders in den langen, dunklen Nächten. Selten fand das Mondlicht einen Weg durch das dichte Blätterdach, und wenn, war es meist schon so schwach, dass es für Kwin kaum einen Unterschied machte. Fast unerträglich waren die langen Abende, die Stunden, die er zwischen der hereinbrechenden Dunkelheit und Mitternacht zur Verfügung hatte. Es gab wenig zu tun. Nachdem er sich sein Essen zubereitet hatte, saß er allein an
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