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Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Titel: Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Merten
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die Magie zu bewahren und das Holz des Baumes in eine andere Form zu führen.
    „Was passiert, wenn ich den Baum ohne Gesang fälle?“ wollte Kwin wissen.
    „Nichts. Die innere Kraft des Baumes rinnt in die Erde zurück, wie der geschmolzene Schnee im Frühling. Das Holz stirbt und verliert seine Kraft. Die daraus gefertigten Werkstücke werden starr und steif, ohne Magie. Sie können eingesetzt und benutzt werden, wie alle anderen auch, aber es fehlt ihnen das Wichtigste: Leben. Nur wenige sehen es einem Werkstück an, ob sein Holz tot oder lebendig ist. Die meisten Dinge, die du in deinem Leben kennengelernt hast, sind aus totem Holz hergestellt.“
    „Ist denn der Tischler ein Magier?“
    „Eine gute Frage“, rief Borken erfreut. „Aber, nein. Ein Magier trägt die Kraft der Magie in sich. Ein Tischler nutzt, was ihm der Baum schenkt, bewahrt es, gestaltet es und gibt dem Holz und der darin enthaltenen Magie eine andere Form. In gewisser Weise liegt die Magie auch in ihm, aber er nutzt sie nicht aktiv, wie ein Zauberer, sondern sie unterstützt ihn bei seinem Vorhaben. Die Zauberkraft eines Tischlers liegt in der gestaltenden Kraft seiner Hände und seiner Vorstellungskraft. Die Magie selbst, die im Holz enthalten ist, formt sich zugleich mit seiner Gestaltung, aber auch schon vorher, während der Baum gefällt wird. Und das ist fürs Erste das Wichtigste. Du musst lernen, welcher Baum gefällt werden will und welcher nicht.“
    Kwin betrachtete Borken mit ungläubigem Blick. „Das verstehe ich nicht! Seit wann fragt man eine Pflanze nach ihrer Meinung? Dann könnten auch Karotten oder Zwiebeln darauf bestehen, dass man sie fragt, ob sie geerntet werden wollen.“
    „Ich weiß nichts von Gemüse“, erklärte Borken lachend, „ich esse es! Mehr nicht. Bäume sind etwas ganz anderes. Sie müssen gefragt werden. Punktum.“ Plötzlich hatte Borkens prüfender Blick nur noch wenig freundliches an sich, und Kwin wartete verunsichert auf weitere Erklärungen. Als sie ausblieben, fragte er: „Wie kann ich erkennen, welcher Baum gefällt werden kann, ... darf, ... will - was auch immer?“
    „Indem du den Baum befragst.“
    „Gesprochene Worte? So wie ich meine Fragen an Euch richte?“, fragte Kwin mit einem ungläubigen Lachen.
    Doch Meister Borken blieb ernst. „Ja und Nein! Es ist vielmehr ein stummes Zwiegespräch. Ein wortloser Gedankenaustausch, dessen Inhalt Bilder und Vorstellungen sind. Schau, überall wirkt die Magie, in jedem Land und in jedem Meer. Die merkwürdigsten Dinge können sich ereignen oder, wenn du Glück hast, dir begegnen. Das war nicht immer so. Es hat eine Zeit gegeben, vor vielen Jahrhunderten, da stand der Wald ganz im Zeichen der Lebensverbesserung für den Menschen. Bis irgendwann die Magie über die Bäume und Wälder fiel wie der Regen an heißen Sommertagen, der Kühle und neue Lebenskraft spendet. Nicht alle Wälder wurden davon dauerhaft berührt und nur einige wenige sind uns bis heute erhalten geblieben. Und nur in diesen findest du lebendes Holz, oder anders, sprechende, magische Bäume. Für uns ist ihr Holz bis heute eine Lebensnotwendigkeit geblieben, was nun zum Glück auch den Bäumen selbst dient. Die Magie hat uns in den Stand gesetzt, uns mit den Bäumen auszutauschen, oder mit ihnen zu sprechen, wenn dir das lieber ist. Es ist eine stumme Übereinkunft. Zwar sterben die Bäume, wenn sie gefällt werden, aber auf eine besondere, uns noch immer unbekannte Weise. Denn sie leben weiter in den Gegenständen, zu denen sie geformt und verarbeitet werden, dauerhafter als zuvor. Dass wir den Wunsch eines Baumes, der nicht gefällt werden will, überhaupt respektieren können, liegt allein daran, dass wir gelernt haben, sie zu verstehen. Sonst würden wir wie früher unser Holz wahllos schlagen.“
    Für den eher schweigsamen Borken war das eine lange Rede gewesen. Er befeuchtete seine Lippen und musterte prüfend seinen Lehrling. Als Borken sah, dass Kwin noch immer verständnislos dreinblickte, fragte er: „Welche Bäume sind für die Herstellung eines Tisches geeignet?“
    „Das harte Holz: Buche, Eiche, Esche und Ulme, Birnbaum und Kirschbaum. Die Wahl des Holzes wird durch das jeweilige Werkstück selbst bestimmt. Das weiche Holz: Birke, Linde, Fichte, ...“
    „Genug. Zuerst wirst du dich also für eine Holzart entscheiden, sagen wir, Buchenholz. Welche Eigenschaften hat es?“
    „Seine Farbe ist gelblichweiß. Seine Eigenschaften sind Härte und Zähigkeit.

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