Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
seinem kleinen Feuer und wünschte nichts sehnlicher als die Stimmen freundlicher Menschen in seiner Nähe. Er vermisste seine Freunde sehr. So saß er am Feuer, schnitzte kleine Holzfiguren und überlegte, wie er die Aufgabe bewältigen sollte, die sein Meister ihm gestellt hatte. Irgendwann rollte er sich dann in seine Decken und schlief langsam ein.
Aber Kwin stellte sich mutig der Herausforderung. Schon nach einer Woche wurde es leichter. Je vertrauter ihm die Umgebung des Waldes und dessen Bewohner wurden, um so sicherer fühlte er sich. Mit der Zeit lernte er, die verschiedenen Geräusche voneinander zu trennen und konnte unterscheiden, ob es lediglich der Wind war, der Äste und Zweige knacken ließ oder ein Tier des Waldes.
Er lebte von dem, was der Wald ihm gab: Nüsse, Beeren, Pilze und Wurzeln. Er legte Fallen aus und fing Kaninchen darin. Der Bitterfluss versorgte ihn mit prächtigen Regenbogenforellen, die er mit den Händen fing. Dazu musste er oft lange im kalten Wasser stehen und geduldig warten. Oft griff er daneben, besonders zu Anfang, und er musste wieder von vorne beginnen. Doch trotz seines reichhaltigen Speiseplans vermisste er schon bald solch einfache Nahrungsmittel wie Brot und Kartoffeln oder eine Tasse heißen Tees am frühen Morgen, wenn er aufwachte. In manchen Nächten träumte er von Bohneneintopf, Karottenkuchen und Schmalzbroten.
Bei all den vielen täglichen Arbeiten, die er verrichten musste, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, vergaß er aber nie die ihm gestellte Aufgabe: die Sprache der Bäume zu lernen. Er bemühte sich nach besten Kräften, blieb aber erfolglos. So sehr er auch versuchte, einen Kontakt herzustellen, indem er seine langen, schlanken Hände um alle Arten von Bäumen legte und dabei die verschiedensten Bilder von Möbeln, Werkzeugen, Musikinstrumenten, Ackergeräten und Waffen in seinem Geist entstehen ließ; er spürte nichts und er sah nichts. Als der Sommer zu Ende ging, war Kwin seinem Vorhaben keinen Schritt nähergekommen. Seine Enttäuschung war groß, und allmählich verließ ihn aller Mut.
Um den Bäumen noch näher zu sein, verlegte er seinen Schlafplatz vom Waldboden in die Äste einer alten Eiche. Er spannte die Regenplane über eine breite Astgabel, so dass er vor Nässe geschützt war, verband Äste, die er vom Waldboden aufgelesen hatte zu einer schmalen Plattform, die er unter der Plane mit einem Seil festzurrte und die ihm als Schlafstatt dienen sollte. Sein Essen bereitete er sich nach wie vor am Boden. Für sein Feuer nutzte er nur das Holz, das er am Waldboden fand. Ohne es zu bemerken, hatte er die Bäume als Wesenheiten angenommen, zwischen denen er lebte, wie zwischen den Bewohnern von Bitterquell. Er fühlte sich mit den Bäumen des Waldes verbunden, auf eine Art, die er nicht beschreiben konnte. Aber die Bäume schwiegen beharrlich. Er fand keinen Zugang zu ihnen, obwohl er ständig das Gefühl hatte, beobachtet und geprüft zu werden. Oft war ihm elend zumute, aber trotzig behauptete er seinen Platz im Wald. Er suchte sich neue, eigene Aufgaben, die nicht zum Scheitern verurteilt waren und von denen er wusste, dass er sie verwirklichen konnte.
Schon bald benötigte er nur noch wenige Stunden für seine alltäglichen Aufgaben. Er nutzte die übrige Zeit zu ausgedehnten Spaziergängen und lernte dabei, sich ebenso leise zu bewegen wie die Waldbewohner. Er lernte Tierspuren voneinander zu unterscheiden und ihnen geräuschlos zu folgen.
Aus dem Ast eines Haselnussstrauches fertigte er sich einen kurzen Bogen und eine Handvoll Pfeile. Obwohl er ein guter Schütze war, traf er nichts damit. Der Bogen zitterte und schwang in seiner Hand, nachdem er den Pfeil abgeschossen hatte, dass Kwin nie voraussagen konnte, in welche Richtung der Pfeil letztendlich fliegen würde. Also schnitzte er sich einen neuen Bogen. Diesmal wählte er das leichte und weiche Holz der Fichte. Es war eine schwere Arbeit, das Fichtenholz mit den wenigen Werkzeugen, die er besaß, gleichmäßig zu bearbeiten. Aber seine Ausdauer wurde belohnt. Als er fertig war, hatte er einen soliden Bogen, und er konnte seinen Speiseplan um Wildbret bereichern. Aber all seine Erfolge hätte er hingegeben für die Gelegenheit, sich mit den Bäumen des Waldes auszutauschen.
Es kam eine Zeit, als er ernsthaft den Gedanken erwog, nach Bitterquell zurückzukehren und Borken seinen Misserfolg einzugestehen. Die Zweifel an seinen Fähigkeiten, die er trotz Borkens gegenteiliger
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