Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Aufenthalt im Spahnwald allmählich verleidete. Trotzdem wollte er bis zum Einbruch des Winters warten, bevor er nach Bitterquell zurückkehrte.
Die Zeit im Spahnwald hatte den jungen Mann verändert. Oft ertappte er sich dabei, wie er nachdenklich durch den Wald streifte und Gedanken nachhing, die ihm noch vor dem Sommer niemals in den Sinn gekommen wären. Mit dem Geschenk ihrer Sprache hatten ihm die Bäume eine große Verantwortung übertragen. Kwin war sich nicht sicher, ob er sie auch tragen konnte. Aber er hatte auch Antworten erhalten. Es war, als hätte sich eine Tür aufgetan. Wissensdurstig war er geworden. Aus jeder Antwort die er fand, ergaben sich zwei neue Fragen. Auf der Suche nach dem, was war und dem, was sein könnte verbrachte er mit Twist die letzten Herbsttage im Wald. Als es in den Nächten anfing zu frieren und morgens der Raureif auf Ästen, Zweigen und Laub lag, schnürte er sein Bündel, verabschiedete sich von seinem Ahorn, der alten Eiche und manch anderem Baum und zog langsam und froh nach Bitterquell. Aus dem unbeschwerten Jungen war ein fröhlicher und aufmerksamer junger Mann geworden.
Fast ein halbes Jahr war seit seinem Aufbruch von zu Hause vergangen, als Kwin sich gemeinsam mit Twist auf den Heimweg machte. Auf dem Rücken trug er sein Bündel, das neben den Dingen, die er vor Monaten mitgenommen hatte, nun auch die Felle einiger Tiere, getrocknetes Fleisch, Pilze, Nüsse und einige kleine handgeschnitzte Holzfiguren enthielt. Über der linken Schulter trug er seinen Bogen mit einem Rindenköcher voller Pfeile. An seinem Gürtel baumelte die kleine Flöte. Als er das Dorf betrat, fiel in dünnen Flocken der erste Schnee. Sein erster Weg führte ihn in die Schmiede, aber Alep war nicht mehr da. Nach einer kurzen Begrüßung erklärte Handemann, dass der junge Elders vor Wintereinbruch zurück zu seiner Familie aufs Land gegangen war.
„Der hat’s hier nich’ lange ausgehalten“, erklärte Handemann, „obwohl er keinen Deut schlechter war als du. Er hätt‘n guter Schmied wer’n können, wenn das Heimweh ihn nich’ so geplagt hätt’. Das Leben hier im Dorf is nix für Veldes Jüngsten. Nee, der is zu was an’erem berufen, sach ich. Aber ein Bauer wird er auch nich’ wern. Dafür fehlt’s ihm an Geduld und Hingabe zur Natur. Wer weiß, vielleicht taucht er zum Fischer oder wird gar Bürgermeister, wenn der alte Wundel ma nich’ mehr is. Wa?“
Kwin verabschiedete sich von Handemann und beeilte sich, zu seinen Eltern zu kommen.
Frau Wundel umarmte ihn herzlich und weinte vor Glück, ihren Kwin endlich wiederzusehen. Auch Meister Wundel freute sich und klopfte ihm immer wieder freudig und erleichtert auf Schultern und Rücken.
„Dünn bist du geworden, Junge, ganz abgemagert siehst du aus. Setz dich her. Ich werde dir erst mal etwas ordentliches zu essen machen. Derweil kannst du Wittlop von deinen Erlebnissen berichten.“ Damit stürzte Frau Wundel in ihre Küche und setzte den Ofen in Gang.
Es wurde ein gemütlicher Nachmittag. Für Kwin war es ein Erlebnis ganz besonderer Art, wieder Mutters Brot zu essen, Zwiebeln, dicke Bohnen, Räucherspeck, Eier und danach eine Flasche von Wundels bestem Wein zu trinken. „Zur Feier deiner Rückkehr“, hatte er mit einem Augenzwinkern gesagt und war in den Keller hinabgestiegen. Als die drei beim Wein saßen, erkundigte sich Kwin nach den Artisten.
Seine Eltern waren voll des Lobes über die Truppe. Vor allem Frau Wundel begeisterte sich noch immer für die unglaublichen Leistungen vom biegsamen Shiral, dem Schlangenmenschen. Während Wittlop in Erinnerung an Ledus Fassungsvermögen für Speisen ungläubig den Kopf schüttelte.
„Und die Seiltänzerin Lisett“, erkundigte sich Kwin vorsichtig.
„Ein liebes Mädchen, mein Junge. Wirklich“, ergriff Frau Wundel schwärmerisch das Wort wobei sie ihre dicken Hände vor der Brust faltete und zur Decke sah.. „Und so hübsch ist sie. Du hast einen ganz ausgezeichneten Geschmack. Nein, wirklich! Ich habe die Kleine gleich in mein Herz geschlossen, als sie in der Tür stand und deine Nachricht überbrachte.“
„Und?“, fragte Kwin erwartungsvoll.
„Was, und?“
„Hat sie sonst nichts gesagt? Keine Nachricht hinterlassen?“
„Nein. Sollte sie denn?“, wollte Meister Wundel wissen.
„Na, ja, ich dachte ...“
„Aber natürlich hat sie eine Nachricht für dich dagelassen“, erklärte Frau Wundel und stieß ihren Mann an. Sie stand auf, ging zur Kommode,
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