Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
hübscher Waldmann, gut geschlafen?“
„Ja. Danke. Und du?“
„Oh, ich kann nicht klagen.“
Lisett lächelte ihn frohgelaunt an und wartete. Kwin stand vor ihr und trat verlegen von einem Bein aufs andere. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Als er bemerkte, dass er schon wieder rot wurde, drehte er sich um und ging schnell davon.
Kurz nach dem Frühstück machten sich die Artisten zum Aufbruch bereit.
„Wo wollt ihr von hier aus hin?“, fragte Kwin Lisett.
„Nach Bitterquell. Wir waren noch nie dort. Soll ich eine Nachricht von dir überbringen?“
„Ja. Grüß bitte meine Eltern, Herrn und Frau Wundel, und den Tischlermeister Borken von mir. Sag ihnen, ich werde zum Winteranbruch zurückkehren.“
„Sonst noch was?“
„Nein. Ich glaube nicht.“
„Dann leb wohl, mein hübscher Tischler“, sagte Lisett mit ungewöhnlich sanfter Stimme.
Kwin fühlte sich, als könnte sie bis zum Grunde seines Herzens schauen. Diesmal wurde er aber nicht wieder rot. Prüfend erwiderte er ihren Blick. Dann sagte er: „Du auch.“ Ein feines Lächeln zog sich über sein Gesicht. Sie lächelte zurück.
Dann erklang Horiks tiefe Stimme vom anderen Ende des Lagers: „Tischler! Heda, Baumbeschützer. Waldmann Kwin. Wo steckst du?“
„Hier drüben“, rief Kwin zurück.
Horik bog um den Wagen und kam auf ihn zu.
„Ah, bei der hübschesten unserer Frauen versteckst du dich. Ich teile deinen guten Geschmack. Aber jetzt heißt es Abschied nehmen, Waldmann. Wir gehen nach Bitterquell. Dort geben wir ein paar Vorstellungen und ziehen erst wieder weiter, wenn Ledus alle Vorräte im Dorf verschlungen hat. Es war mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen. Du bist aus dem rechten Holz, mein Junge.“ Mit diesen Worten legte Horik seine riesigen Arme um Kwin und zog ihn mit einem Ruck an seine breite Brust. Als er ihn wieder freigab, keuchte Kwin. Dann trat der kleine Ledus an Horiks Stelle und umarmte Kwin herzlich. Danach kamen der dünne Shiral, Maldine, Wita und alle anderen. Sie umarmten Kwin, nannten ihn Waldfreund, Baumbehüter, Schürzenjäger und warnten ihn vor Lisett. Sie schlugen ihm auf Schultern und Rücken und hießen ihn allzeit willkommen in ihren Wagen. Als aber die Frauen der Truppe begannen, ihm kleine, feuchte Abschiedsküsse auf Wange und Stirn zu geben, verlor Kwin seine Fassung vollends. Er war sich sicher, dass die Frauen absichtlich ihre Lippen mit der Zunge befeuchteten, bevor sie ihm ihre Münder ins Gesicht drückten. Schon bei Horiks Umarmung wusste Kwin nicht, was er tun sollte. Hilfesuchend wandte er seinen Blick zu Lisett. Als die Seiltänzerin den gequälten Ausdruck auf Kwins Gesicht bemerkte, lachte sie laut, wobei sie den Kopf in den Nacken warf. Lisett konnte sich kaum halten. Ganz zuletzt, als alle anderen schon wieder gegangen waren, trat Lisett zu Kwin. Ernst war sie jetzt, nur noch ein feines Lächeln erinnerte an ihr Lachen von zuvor.
„Nun, mein hübscher Tischler, was glaubst du: werden wir uns wiedersehen?“
„Wer weiß“, meinte Kwin unsicher. „Vielleicht. Wenn ihr nächstes Jahr wieder nach Bitterquell kommt. Dann ganz bestimmt. Ich meine, wenn ihr, ... du ...“
„Ja?“
„Ach nichts.“
„Nächstes Jahr also. Einverstanden. Und denk daran: das ist ein Versprechen. Also halte es.“
„Natürlich. Wo sollte ich sonst sein?“, fragte Kwin, und etwas von Lisetts Freude übertrug sich auf ihn, bis auch er zu lachen begann.
Als die Artisten die Lichtung verlassen hatten, merkte Kwin, wie sehr ihm die Anwesenheit freundlicher Leute in all seinen einsamen Monaten gefehlt hatte. Er spürte einen nie gekannten Hunger nach Gesellschaft. Aber da war noch mehr. Unwillkürlich musste er an Lisett denken, ohne sich erklären zu können, weshalb. Schnell verdrängte er seine Erinnerungen an die hübsche Seiltänzerin und ermahnte sich. Er sammelte seine Habseligkeiten vom Boden auf und kehrte gemächlich mit Twist zurück in den Wald und zu seinem Ahorn.
Während Kwin sein Leben im Wald wieder aufnahm und ständig an Lisett denken musste, reiste die Kunde von ihm, Kwin, dem Waldmann und Baumbehüter, der die Sprache der Bäume verstand und die seines mächtigen Begleiters Twist mit der Schnelligkeit einer umherziehenden Artistengruppe übers Flache Land und ganz Burnyk, bis hin nach Duckmoor, Hornburg und Velotas und in alle Himmelsrichtungen bis zum Meer.
Seit seiner Begegnung mit den Artisten verspürte Kwin eine immer drängendere Unruhe, die ihm den
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