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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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gehört, dass die beiden am Tag vor
     dem Mord eine heftige Auseinandersetzunggehabt hatten, bei der Michejew drohte, die Demidowa umzubringen. Er hatte sie bei den Schultern gepackt, sie geschüttelt
     und gesagt: »Eines Tages bringe ich dich um, Mascha, Ehrenwort!« Worauf sie erwiderte: »Du bist ein dummer Affe, Michejew.
     Lass mich los, du tust mir weh!« Er ließ sie los, und sie lachte ihm ins Gesicht.
    Dann ging die Tür eines Seminarraums auf, und Gerassimow kam heraus. Mascha fasste ihn unter und sagte: »Komm, wir gehen ins
     ›Gambrinus‹, ich hab Hunger.«
    »Gambrinus« nannten die Studenten ein kleines Kellerlokal in der Nähe des Instituts.
    Gerassimow legte ihr den Arm um die Schultern, sie entzog sich, lachte und nannte auch ihn einen dummen Affen. So nannte sie
     jeden jungen Mann, der sich für sie interessierte. Aber niemand war ihr böse, im Gegenteil, viele mochten gerade das an ihr.
    In der Akte tauchte Gerassimows Name mehrfach auf.
    Ein Zeuge behauptete, Michejew sei auf Gerassimow eifersüchtig gewesen, andere nannten andere Namen.
    Nach den Sommerprüfungen fuhr eine Gruppe von zehn Leuten auf die Datscha der Demidows. Maschas Eltern waren zu der Zeit im
     Ausland. Michejew und Gerassimow gehörten zu den Eingeladenen, doch Gerassimow fuhr nicht mit. Er war erkältet und lag mit
     Fieber im Bett.
    Am Abend, gegen elf, gingen drei Jungen und drei Mädchen baden, darunter Mascha und Michejew. Der See lag drei Kilometer von
     der Datscha entfernt, jenseits der Eisenbahnstrecke.
    Mascha und Juri überholten die anderen, deshalb hörte niemand, worüber sie unterwegs sprachen. Als alle den See erreicht hatten,
     verkündete Michejew, er wolle ans andere Ufer schwimmen, zog sich aus und stürzte sich ins Wasser. Der See war ungefähr achthundert
     Meter breit. Am gegenüberliegenden Ufer wuchs eine ganz besondere Lilienart,und er versprach Mascha, ihr eine Lilie zu bringen. Mit ihm sprangen noch ein Junge und ein Mädchen ins Wasser. Die anderen
     drei, darunter Mascha, blieben am Ufer sitzen.
    Es war eine klare, sehr warme Mondnacht.
    Als Michejew bis zur Mitte geschwommen war, erklärte Mascha, sie friere, sei müde und ginge jetzt zurück zur Datscha.
    Michejew schwamm ans andere Ufer und kam mit einer riesigen weißen Blume zwischen den Zähnen zurück. Als er erfuhr, dass Mascha
     gegangen war, warf er die Lilie weg, zog sich an und rannte ihr nach. Er stellte fest, dass sie nicht in der Datscha angekommen
     war, und ging sie suchen, nachdem er ein Glas Wodka in einem Zug geleert hatte. Die Zeugen erklärten, er sei sehr erregt gewesen
     und habe mehrfach gesagt: Wenn ich dich finde, bring ich dich um, ich erwürg dich eigenhändig, ich kann nicht mehr!
    Gegen ein Uhr nachts kamen die anderen vom See zurück, waren hungrig und beschlossen, nicht auf Mascha und Michejew zu warten
     – mochten die beiden klären, was sie miteinander zu klären hatten.
    Um halb drei kam Michejew mit dem Schrei: »Einen Rettungswagen! Mascha!« ins Haus gerannt. Auf der Datscha gab es ein Telefon.
     Ohne weitere Erklärungen drehte Michejew lange die Wählscheibe, begriff aber nicht, dass er eine Acht vorwählen musste. Alle
     Anwesenden sahen, dass seine Hände, sein Gesicht und sein Hemd voller Blut waren. Schließlich wählte jemand die richtige Nummer.
     Den Hörer hielt noch Michejew in der Hand. Er sagte: »Kommen Sie schnell! Hier stirbt jemand!«, nannte die Adresse der Datscha
     und seinen Namen. Auf Gegenfragen antwortete er brüllend: »Dazu ist jetzt keine Zeit, verdammt! Sie liegt auf der Baustelle!«
     Dann warf er den Hörer hin und rannte hinaus.
    Einige folgten ihm, andere blieben da, um auf den Rettungswagen zu warten.
    Einen Kilometer von der Datscha entfernt, in einem Birkenwäldchen, entstand gerade ein Ferienheim. Durch das Wäldchen führte
     eine Abkürzung zur Bahnstation, deshalb wurde der Zaun ständig zerstört. Die Baustelle war eine Art Durchgangshof. Über sie
     führte ein ungefährlicher, von einem Scheinwerfer beleuchteter Trampelpfad, den die Datschniks nahmen, weil sie keinen Umweg
     laufen wollten.
    Im hellen Scheinwerferlicht sahen die Jungen und Mädchen Mascha in der nicht sehr tiefen Baugrube liegen, auf einer schrägen
     Betonplatte, mit dem Gesicht nach unten. Sie trug Shorts und einen leichten hellen Pulli. Er war ganz dunkel vom Blut. Aus
     ihrem Rücken ragte etwas – ein Messergriff, wie sie zunächst dachten. Michejew kniete neben ihr und hielt ihren Kopf.

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