Der falsche Engel
nannte ihm
die genaue Summe für die Behandlung. Sie war sehr erregt, schrie ihn an. Dann besann sie sich, brach das Gespräch ab und behauptete
mir gegenüber, sie habe mit ihrem Produzenten gesprochen. Vielleicht hat er sie verprügelt? Aber ich glaube eher, dass Angela
mich angelogen hat. Sie hat sich am Telefon nicht mit ihrem Produzenten gestritten, sondern mit jemand anderem.«
»Wie kommen Sie darauf?«, hatte Raiski gefragt und dabei ein Lächeln unterdrückt.
»Das habe ich einfach an ihrer Stimme gemerkt, und außerdem hatte ich sie ja gar nicht gefragt. Ich habe ihr keine einzige
Frage gestellt, und trotzdem sah sie sich zu Erklärungen bemüßigt.«
Ihr Škoda war daraufhin sofort mit einer kleinen Wanze versehen worden. Der Mitschnitt der nächsten Gespräche der Ärztin mit
der Sängerin, erst im Krankenzimmer, dann im Auto, veranlasste Raiski zu einem freudigen Luftsprung.
Nun wusste er genau, dass Angela von Ismailow zusammengeschlagen worden war, und zwar wegen Stas Gerassimow.
Am selben Tag wurde er darüber informiert, dass in Angelas Krankenzimmer fremde Wanzen entdeckt worden waren.Er freute sich noch mehr und ordnete an, diese nicht anzurühren. Mochte der Tschetschene ruhig zuhören. Und sich Sorgen machen.
Sicherheitshalber wurde auch Julias Auto untersucht, doch darin fand sich nichts Fremdes. Also erhielt Ismailow nicht alle
Informationen, sondern nur einen Teil – klein, aber ausreichend, um ihn zu beunruhigen.
Natürlich kam Raiski durchaus auf den Gedanken, dass der Tschetschene sich womöglich ernsthaft für die Ärztin interessieren
könnte, der gegenüber seine Freundin sich so offenherzig gab, aber das war für den Oberst nur von Vorteil. Jeder, für den
sich Ismailow interessierte, wurde zu einem Glied in der Kette, die schließlich zum glücklichen Finale führen würde.
Die Zusammenarbeit mit Julia war eindeutig ein Glückstreffer. Angela hatte Vertrauen zu ihr. In ihrer Gegenwart entspannte
sie sich und war äußerst offen.
Jeder Mitarbeiter, der an Raiskis Operation beteiligt war, verfügte nur über genauso viel Informationen, wie er unbedingt
für seine Arbeit brauchte. Doktor Awanessow und Katja zum Beispiel wussten, dass Major Loginow ein neues Gesicht bekam, hatten
aber keine Ahnung, um wessen Gesicht es sich handelte und was der Major tun würde, wenn er die Militärbasis verließ.
Der Oberst achtete streng darauf, dass niemand seinen Plan von Anfang bis Ende durchschaute. Doch Julia Tichorezkaja war inzwischen
über alle zulässigen Grenzen hinaus informiert. Ohne es zu wollen, wusste sie praktisch alles, sogar den Namen von Objekt
A.
Es war richtig gewesen, jemanden von außen einzubeziehen. Doch Raiski hatte seine eigenen Schwächen nicht bedacht. Er war
es gewohnt, mit Profis zu arbeiten, konnte aber nicht voraussehen, wie Doktor Tichorezkaja sich verhalten würde und wie gefährlich
ihre Informiertheit war.
Ihr Wagen wurde noch immer abgehört, ihr Haus ständig überwacht, und zwar so offen, dass selbst Schura den schwarzen Audi
bemerkt hatte.
Durch den Straßenlärm und die Motorengeräusche klangen die Stimmen undeutlich. Doch der Oberst entschlüsselte Gesprochenes
durch jede Störung hindurch ebenso, wie ein Graphologe jede Schrift entziffern konnte.
Als er hörte, wie Schura ihre Mutter nach ihm fragte, nach dem langen Dünnen mit der Brille, huschte ein schwaches Lächeln
über seine Lippen, dann wurde sein Gesicht ernst. Julias Antwort hörte er sich zweimal an. Anschließend lauschte er amüsiert
Julias Bericht über das Beamtenehepaar und die Rebhühner.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
In der letzten Nacht schlief Sergej nicht; er blätterte noch einmal die Kopie der alten Akte durch.
Aus den Zeugenaussagen über Mascha Demidowa entstand das Bild einer echten femme fatale. Als sie in die neunte Klasse ging,
wollte sich ein Klassenkamerad ihretwegen das Leben nehmen. Am Institut brodelten um sie herum ständig die Leidenschaften.
Es gab eine undurchsichtige Geschichte mit einem jungen Sportlehrer. Eine Freundin der Ermordeten hatte ausgesagt, Mascha
habe dem Lehrer derartig den Kopf verdreht, dass der Ärmste seine Frau und sein kleines Kind verließ.
Mascha verstand sich darauf, Männer um den Verstand zu bringen, und dann trat sie still beiseite und sah zu, welche Dummheiten
die Verliebten machten.
Dass Michejew vom ersten Semester an in sie verliebt war, wussten alle, und viele hatten
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