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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Oberstleutnant befördert und mit einer Gruppe von Militärberatern
     in die Hauptstadt von Sambia, Lusaka, geschickt worden. Und im August 1979 kam die offizielle Benachrichtigung: Oberstleutnant
     Loginow sei in Erfüllung seiner internationalistischen Pflicht den Heldentod gestorben und werde postum mit dem Orden für
     Kampfesruhm zweiter Klasse geehrt. Drei Monate später übergab man der Witwe den Orden in einer roten Schachtel, eine kleine
     Urne und Papiere über eine lebenslange großzügige Rente.
    Sergej erinnerte sich gut an seinen Vater, allerdings hatte sich die Grenze zwischen eigenen kindlichen Erinnerungen und Mutters
     Erzählungen längst verwischt. Nicht nur der Dienst des Vaters, sondern auch viele kleine Dinge, die ihn umgaben, waren ein
     Geheimnis, und dieses Geheimnis war für Sergej als Kind etwas Schönes, Edles gewesen. Doch als der Vater gefallen war und
     die Mutter schlagartig um zehn Jahre alterte, verblasste der Zauber dieses Geheimnisses erheblich. Mit vierzehn hielt Sergej
     die wilde männliche Romantik nicht mehr für das wichtigste und einzige Merkmal des Soldatenberufs, und das war gut, denn er
     wollte Offizier werden.
    Grabumfriedung und Bank verlangten nach Reparaturund frischer Farbe. Er hätte sich gern selbst darum gekümmert, aber er hatte keine Zeit mehr. Er brachte den Besen zurück,
     beauftragte die Friedhofswärter damit und zahlte im Voraus. Auf dem Rückweg zum Grab betrachtete er die Grabsteine rechts
     und links. Dabei fiel ihm ein hoher schneeweißer Marmorstein mit erhabenen Bronzeornamenten auf. Ein auffälliger Grabstein,
     teuer und pompös. In der Mitte hing ein riesiges Farbfoto eines schwarzhaarigen jungen Mädchens: Maria Demidowa, 1965–1985.
    Ein hübsches Mädchen, dachte Sergej, als sein Blick unwillkürlich auf ihrem Gesicht verharrte. Erst zwanzig. Was ist dir zugestoßen,
     Maria? Ein Autounfall? Eine unheilbare schwere Krankheit? Sergej ging weiter, hielt aber plötzlich inne und drehte sich noch
     einmal nach dem weißen Marmorturm um.
    Mein Gott! Mascha Demidowa, einzige Tochter eines hohen Funktionärs des Außenministeriums! Dein Kommilitone Juri Michejew
     hat dich umgebracht. Er liebte dich seit dem ersten Semester. Eines Tages hat er sich betrunken und dich aus Eifersucht erstochen.
     Todesursache war ein Stich mit einem spitzen Gegenstand ins Herz. Und aus irgendeinem Grund treibt sich der Geist deines Mörders
     heute, fünfzehn Jahre später, ganz in meiner Nähe herum.
     
    Oberst Raiski wartete nicht, bis der Mitschnitt der Gespräche in Julia Tichorezkajas Auto ausgedruckt war, sondern verlangte
     sofort nach den Bändern.
    Die Operation, die er geplant hatte, weckte in ihm gemischte Gefühle. Die Idee war spontan entstanden, in dem Moment, als
     der Spiegel im Wohnzimmer der Gerassimows zerbrochen war. Sie war so hell aufgeblitzt, dass sie ihm genial erschien. Später,
     wieder ruhiger, wog er alle Für und Wider ab und begriff, dass der Plan nicht ganz so genial war,denn vieles hing vom Zufall ab, er musste faktisch blind spielen, dennoch entschloss er sich, es zu tun.
    Die Idee war eigentlich nicht sonderlich originell. Raiski wollte Schamil Ismailow mit einem Lebendköder fangen, dem Beleidiger,
     an dem sich der berühmte Tschetschene rächen wollte. Im Laufe der jahrelangen erfolglosen Jagd auf den Terroristen hatte der
     Oberst dessen Schwächen gründlich studiert. Bei all seiner teuflischen Gerissenheit und Vorsicht war Ismailow heißblütig,
     leidenschaftlich und rachsüchtig. Er verzieh und vergaß nie etwas. Der Umstand, dass sich der direkte Mordanschlag auf Stas
     Gerassimow nicht wiederholt hatte, bestätigte Raiskis Hypothese nur. Der Tschetschene hatte in Interviews mit westlichen Korrespondenten
     oft wiederholt, dass das Warten auf den Tod schlimmer sei als der Tod selbst, die Ungewissheit effektiver als Folter.
    Doch Raiskis Entscheidung beruhte nicht auf psychologischen Gründen, die Sache war weit simpler.
    Jede Geheimdienstoperation auf der Welt kostet Geld. Solange der Geheimdienst vom Staat finanziert wird, arbeitet er auch
     für den Staat, ist zuverlässig und monolithisch, egal, womit er sich befasst – ob mit der totalen Überwachung normaler Bürger,
     der Jagd auf Andersdenkende, dem Diebstahl militärischer und technologischer Geheimnisse anderer Staaten oder dem Kampf gegen
     Kriminalität und Terrorismus.
    1991 setzte ein Finanzstrom aus Russland ins Ausland ein. Das entstehende Chaos war

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