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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ist?«
    »Ich weiß nicht«, stammelte das Mädchen erschrocken und stellte rasch das Tablett auf den Tisch.
    Der General berührte ihre Hand und bat: »Bitte, versuch dich zu erinnern. Du weißt doch, was für ein Unglück geschehen ist,
     du musst verstehen, dass jetzt alles wichtig ist.Absolut alles. Was ist das für eine Sängerin? In welcher Zeitschrift war das Foto?«
    »Na schön, ich wills versuchen.« Oxana schaute zur Decke, schwieg eine Weile und platzte dann heraus: »Die Zeitschrift heißt
     ›Näher dran‹ Da war eine Fotoreportage über eine Clubparty drin. Auf einem Foto waren die Sängerin Angela und Stanislaw, in
     einer ziemlich anstößigen Pose, und darunter stand noch was Entsprechendes – schrecklich. Das ist mir richtig peinlich.«
    »Mach schon, genier dich nicht!«, ermunterte sie der General düster.
    »Na ja, wissen Sie, sie hatte die Hand zwischen Stanislaws Beinen, auf dem Hosenschlitz, und darunter stand etwa: Es war voll
     und beengt, und die Sängerin Angela beschützte das beste Stück ihrer neuen Liebe, des Unternehmers Stas Gerassimow.« Bei diesen
     Worten errötete das arme Mädchen so, dass ihr die Tränen kamen, und wich den Blicken der anderen aus.
    »Ja, ja« – Natalja nickte traurig –, »genau so stand es da.«
    »Hast du die Zeitschrift noch?«, fragte Gerassimow.
    »Nein. Sie war von Februar. Ich hab sie weggeworfen.«
    Oxana lief aus dem Zimmer, doch der General rief sie zurück: »Warte, setz dich her und erzähl uns von dieser Sängerin.«
    Das Mädchen kam zurückgetrottet und setzte sich linkisch auf eine Stuhlkante.
    »Na ja, ich weiß nicht, ich interessiere mich nicht besonders für Popmusik. Eine Sängerin eben. Davon gibts doch heutzutage
     viele … Diese Angela ist wohl noch sehr jung, um die zwanzig. Es heißt, ein Tschetschene soll sie gefördert haben, aber so
     was in der Art erzählt man über alle Stars …«
    »Ein Tschetschene?«, flüsterte Natalja. »Mein Gott, jetzt ist alles klar!«
    »Was ist klar?«, brüllte der General. »Hier sitzen zwei Profis, und du meinst, es ist ›alles klar‹!«
    »Warum schreist du mich so an, Wladimir?«, fragte Natalja leise. »Nimm ein bisschen Baldrian. Michail, nehmen Sie es ihm nicht
     übel, er ist erschöpft und nicht gesund«, wandte sie sich an Raiski. Der nickte zerstreut.
    Die letzten Minuten schwieg er. Das Licht der Lampe spiegelte sich in seinen Brillengläsern, und niemand sah, wie seine hellen
     Augen erstarrten und seine Pupillen sich verengten.
    Der General machte den Mund auf, um noch etwas zu sagen, doch da ertönte ein schweres Poltern. Ein Windstoß hatte die Balkontür
     zugeworfen, und der große Spiegel war von seinem Holzpodest gefallen. Die Splitter fielen krachend auf eine antike Kommode
     und rissen Schatullen, Schälchen und Statuetten mit.
    Der Oberst kam als Erster zu sich. Er stand auf, betrachtete die glatte polierte Holzfläche und schüttelte den Kopf.
    »Erstaunlich, dass das nicht schon früher passiert ist. Das Glas war nur mit ein paar Tropfen Klebstoff befestigt und nicht
     einmal gerahmt. Schlamperei!«
    Der General und seine Frau saßen still und wie betäubt da. Oxana rannte in die Küche, einen Besen holen.
    »Natalja! Untersteh dich!«, brüllte der General plötzlich so laut, dass der Kristalllüster klirrte. »Hör sofort auf! Ich verbiete
     es dir!«
    »Was, Wladimir, was verbietest du mir?«, wisperte Natalja erschrocken.
    »Ich verbiete dir, daran zu denken!« Die Wangen des Generals bebten, und ein grauer Haarbüschel auf seiner Glatze stand zu
     Berge. »Glaub nicht daran! Das ist Unfug! Vorurteile! Weibischer Aberglaube! Verstanden? Wiederhole!«
    »Ja doch, Wladimir, ja. Ich werde es nicht tun«, schluchzte sie leise. »Das ist Unfug, weibischer Aberglaube.«
     
    Der Tag war gekommen, da die Krücken durch einen Stock ersetzt wurden und Sergej Turnschuhe und einen Trainingsanzug erhielt.
     Er ging zum ersten Mal an die frische Luft und lief, auf den Stock gestützt, rund hundert Meter den schmalen Asphaltweg an
     der Betonmauer entlang. Die Mauer war hoch und mit drei Reihen Stacheldraht gekrönt. Hinter den Bäumen entdeckte Sergej drei
     ziemlich neue Finnhütten. Das Hospital selbst war ein zweistöckiger Backsteinklotz. Daneben stand ein ebensolcher Klotz, allerdings
     gespickt mit Antennen und Satellitenschüsseln.
    Rundum war Wald, der allmählich zum Leben erwachte, sich mit zaghafter, trügerischer Wärme und blassen Vorfrühlingsfarben
     füllte.

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