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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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überdies einen etwa sechzehnjährigen Jungen mit einer Maschinenpistole hinter ihn gestellt. Der Junge
     schnalzte laut mit der Zunge, spuckte hinter seinem Rücken aus und sang eine eintönige orientalische Melodie vor sich hin.
     Er hatte eine hohe, näselnde Stimme, er stand da und sang und sang …
    Als Sergej sich wieder am Reck hochzog, spürte er plötzlichseine Hände nicht mehr, als seien sie wirklich taub von den Fesseln, und er fiel auf die harte Matte. Das war mehr als eine
     Erinnerung. Jede Zelle seines Körpers durchlebte das alles, von Anfang bis Ende.
    Er blieb einige Minuten liegen, die Augen an die Decke gerichtet und sich die Handgelenke reibend. Allmählich zirkulierte
     das Blut wieder. Seine Finger waren rot und geschwollen. An seinen Handgelenken traten tiefe dunkelrote Narben hervor – Spuren
     von den Fesseln.
     
    Stanislaws Begleiterin Evelina war eine rassige, zwei Meter große Brünette, schlank und zerbrechlich. Im Halbdunkel des Restaurants
     wirkten ihre Augen wie Pforten zu einer öden, stummen Leere. Bei der kleinsten Bewegung knackten ihre Gelenke, dass man Angst
     bekam, es könnte jeden Augenblick etwas brechen.
    Sie aß für zwei, leerte Glas um Glas Wein, rasch und gierig, wurde aber nicht betrunken. Mit ihren sensiblen langen Fingern
     riss sie den Panzer von einer Riesengarnele und erzählte, dass die Nachbarn über ihr gerade renovierten. Nicht genug, dass
     von morgens bis abends Krach herrsche, obendrein sei die ganze Treppe voller weißer Wandfarbe. Und eine gewitzte Freundin
     habe in Deutschland ein Auto gekauft und schreckliche Probleme mit dem Zoll gehabt. Eine andere Freundin habe einen Geschäftsmann
     kennengelernt und schon Heiratspläne geschmiedet, aber er habe sich als banaler Betrüger herausgestellt.
    »Übrigens – was macht eigentlich deine stürmische Affäre mit der kleinen kahlen Sängerin?« Evelina rümpfte die Nase und schnippte
     nervös mit den Fingern. »Wie hieß sie gleich? Shanna? Josefina?«
    »Angela«, zischte Stas. »Wir haben keine Affäre.«
    »Ach, tu nicht so bescheiden, wir beide sind doch erwachsen.Ich wollte dich bloß schon lange warnen. Bei solchen Mädchen sollte man aufpassen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, wer weiß – Drogen, Banditen, AIDS, Syphilis.«
    »Ich habe keine Affäre mit Angela, und Punkt!«, unterbrach Stas schroff.
    »Aber ihr hattet doch eine?« Evelina kniff die Augen zusammen. »Ich hab gelesen, dass die Ärmste brutal zusammengeschlagen
     wurde, ihr Gesicht ist total entstellt. Sie wird wohl nicht so bald wieder auf der Bühne stehen. Schade natürlich, aber selber
     schuld. Bei einem solchen Lebenswandel muss man auf alles gefasst sein. Was siehst du mich so an? Du hättest wohl gern, dass
     ich eifersüchtig wäre. O nein, mein Lieber, darauf kannst du lange warten, dazu kennen wir beide uns zu gut und zu lange.«
    Stas schwieg. Er ertrug dieses Geschwätz nur, weil er heute bei Evelina übernachten musste, und dachte mit leisem Bedauern
     daran zurück, wie sie vor fünf Jahren gewesen war, als sie noch bei einer renommierten Agentur angestellt war, für Nacktaufnahmen
     Modell gestanden hatte und ihm irgendwie wesentlich klüger erschienen war. Aber mit bald vierzig kann man nicht mehr als Fotomodell
     arbeiten. Nach einem Jahr ohne Arbeit hatte sie angefangen, Liebesromane zu verfassen.
     
    Der Kellner brachte die Rechnung. Stas legte, ohne hinzusehen, seine Kreditkarte in die Ledermappe. Er fühlte sich nun richtig
     gut, vor allem war die widerliche, zitternde Angst verschwunden. Stas griff nach Evelinas kaltem, langem Handrücken und streichelte
     sanft ihre Finger.
    »Du bist wundervoll, ich fühle mich sehr wohl mit dir.«
    »Danke, mein Sonnenschein«, antwortete sie lachend.
    Der Kellner kam heran. Stas fiel ein, dass er kein Trinkgeld auf die Kreditkarte gelegt hatte, und er öffnete seineBrieftasche, doch darin lagen nur ein paar sehr kleine Scheine.
    »Hast du mal fünfhundert Rubel?«, fragte er Evelina lässig.
    »Ja, natürlich.« Sie öffnete ihre Handtasche.
    Der Kellner beugte sich zu Stas herunter und sagte schuldbewusst: »Entschuldigen Sie bitte, aber Ihre Kreditkarte ist gesperrt.«
    »Was?« Stas verstand nicht.
    Der Kellner zeigte ihm einen Computerausdruck, Stas hielt ihn sich vor die Augen, konnte den kleingedruckten englischen Text
     lange nicht lesen, begriff schließlich und zog eine andere Kreditkarte aus der Brieftasche. Der Kellner entfernte sich

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