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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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weiterlaufen, und Sergej erblickte sich selbst mit einer MPi in der Hand.
    Als die Kamera näher herangefahren war, drückte der Oberst erneut die Pausentaste.
    »Bleiben Sie dabei, dass Sie diesen Mann noch nie gesehen haben? Ich weiß, das Gedächtnis erlaubt sich manchmal seltsame Tricks.
     Besonders qualvolle, die Psychegefährdende Momente vergisst man, ohne es bewusst zu wollen. Dafür sorgt der Selbsterhaltungstrieb. Das kommt vor, unbestritten.
     Sie wurden schließlich gezwungen, das zu tun. Wir wissen ja, wie man dort Leute zu etwas zwingt.«
    »Ich erinnere mich sehr gut, wie man mir eine MPi in die Hand drückte und mich filmte«, sagte Sergej langsam, »seien Sie so
     gut und lassen Sie das Band weiterlaufen.«
    »Hören Sie, Sie haben unglaubliche Nerven«, bemerkte Raiski. »Großartig, Ehrenwort, großartig.«
    Erneut kam der Gefangene ins Bild. Die Kamera fuhr näher heran, um ein letztes Mal das Gesicht des Mannes zu zeigen. »Zahlt
     das Lösegeld, zahlt das Lösegeld …«
    Aus dem Off ertönte eine MPi-Salve. Der Gefangene stürzte. Dann sah man wieder Sergej mit der MPi. Neben ihm stand Ismailow,
     klopfte ihm auf die Schulter und beglückwünschte ihn. Sergej schwieg, den Kopf tief gesenkt.
    »Na siehst du, ist doch ganz einfach, mein Lieber, oder? Es ist ganz einfach, im Namen des großen Allah einen Hund zu erschießen.
     Du bist schließlich ein Dshigit, mein Bruder. Wir werden dich verheiraten«, versprach Ismailow. »Na los, Major, genier dich
     nicht, sag allen, wer du bist, wer du warst und wer du geworden bist.« Darauf folgte ein heftiges Schulterklopfen. Sergej
     schwankte und wäre beinahe gestürzt. Die Kamera schwenkte zu dem Leichnam, der von der Wand zu einer flachen Grube am Rand
     eines Nusshains geschleppt wurde.
    »Wo waren wir stehengeblieben?«, meldete sich Raiski. »Sie sagten, Sie erinnern sich gut, wie man Ihnen eine MPi in die Hände
     gedrückt hat. Hat der Film Ihrem Gedächtnis nicht auf die Sprünge geholfen und hervorgeholt, was danach geschah?« Im Halbdunkel
     flammte ein Feuerzeug auf, der Oberst zündete sich eine Zigarette an und reichte Sergej die Schachtel.
    »Danke.« Sergej nickte und sagte nach dem ersten Zugleise: »Michail Jewgenjewitsch, spulen Sie bitte noch einmal zurück zur ersten Erschießung.«
    »Das dachte ich mir, dass Sie da ansetzen würden.« Raiski schaltete Videorecorder und Fernseher aus, rollte mit seinem Sessel
     zum kleinen Tisch und trank mit einem Schluck seinen inzwischen kalten Kaffee aus. »Wenn Sie auf die Geisel geschossen hätten,
     wäre das auf jeden Fall gefilmt worden. Die MPi, die man Ihnen in die Hand gedrückt hat, war nicht geladen. Sie waren bereits
     so geschwächt, dass Sie sich kaum auf den Beinen halten konnten. Genau deshalb, für Ihre Weigerung zu schießen, hat man Ihnen
     die Beine gebrochen. Erst wollte man Sie einfach aufhängen, aber Ismailow war nach Grosny gefahren, und sie warteten seine
     Rückkehr ab.«
    »Woher wissen Sie das?«, erkundigte sich Sergej düster.
    »Warten Sie« – Raiski lächelte –, »Ihre Fragen beantworte ich nachher. Nicht alle, aber einige. Also, Sie haben die Geisel
     nicht gesehen, weil Sie sich auf der anderen Seite des Hauses befanden. Das haben unsere Experten bestätigt, die dieses Video
     sehr gründlich studiert haben. Mehr noch – sie haben festgestellt, dass Ihr Gesicht geschminkt ist.«
    »Das kann man feststellen?«, fragte Sergej zweifelnd.
    »Es ist ein hochwertiges Videoband, und die Beleuchtung ist ausgezeichnet. In einer Großaufnahme ist zu erkennen, dass man
     Ihnen blaue Flecke im Gesicht weggeschminkt hat. Ich hatte erwartet, dass Sie die Schminke erwähnen. Aber das haben Sie nicht
     getan – meinen Glückwunsch. Ich habe kein Vertrauen zu Leuten, die allzu rasch Rechtfertigungen parat haben. Na schön. So
     weit der Film. Nun können wir reden.«
    »Das ist garantiert nicht der ganze Film«, sagte Sergej langsam und verspürte ein Stechen in den Handgelenken.
    Raiski nickte. »Stimmt. Danach kommen derartig alptraumhafte Szenen, dagegen ist Stephen King ein Waisenknabe.Ich persönlich möchte das nicht noch einmal sehen. Ich bin kein Freund von Horrorszenen, schon gar nicht, wenn sie nicht der
     Phantasie eines Filmemachers entspringen, sondern echt sind. Sie kommen darin übrigens nicht vor. Nur in ein paar flüchtigen
     Großaufnahmen. Da schauen Sie zu, wie Ihre Kameraden hingerichtet werden, und sehen aus wie eine Leiche. Allerdings muss man
     eine

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