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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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einfach vergessen, dass Georgi auf mich wartete.«
    »Und wenn uns jemand gesehen hat?«, fragte sie nach einem tiefen Zug an ihrer Zigarette.
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, wir waren ziemlich lange am Auto.«
    »Ach, hör auf!« Stas verzog das Gesicht. »Wer soll uns schon bemerkt haben bei der Dunkelheit und uns auch noch wiedererkennen?
     Das erstens. Und zweitens: Du warst den ganzen Abend mit mir zusammen. Du hast gesehen, wie ich aus dem Auto gestiegen bin,
     in dem Georgi saß, gesund und munter. Du erinnerst dich genau, dass ich während des Essens nicht aufgestanden und weggegangen
     bin.«
    Sie schwieg und schloss die Augen. Er streichelte ihr Knie. Sie rückte ab und seufzte schwer. Ihm fiel ein, dass Evelina nicht
     gesehen haben konnte, wie er aus dem Auto ausstieg, denn sie war erst zehn Minuten nach ihm gekommen. Und beim Essen war er
     einmal hinausgegangen und eine ganze Weile weggeblieben. Er war auf der Toilette gewesen. Er hatte manchmal Magenprobleme.
    »Wenn ich deine Komplizin spielen soll, dann muss ich die ganze Wahrheit wissen«, sagte Evelina kaum hörbar.
    »Welche Wahrheit? Wovon redest du?«
    »Wovon ich rede?« Evelina ließ sich neben ihm aufs Bett fallen, schaute an die Decke und sagte langsam, Silbe für Silbe: »Deine
     beiden Kreditkarten sind gesperrt. Dein Chauffeur Georgi sitzt mit einer Kugel im Kopf im Auto. Anstatt die Miliz zu rufen,
     läufst du weg und versteckst dich bei mir. Was ist los, Stas?«
    »Verstecke ich mich denn?«
    »Dein Handy hat die ganze Zeit nicht einmal geklingelt. Kein einiges Mal. Normalerweise lässt du es Tag und Nacht eingeschaltet.
     Du kannst ohne Handy nicht leben, nicht einmal in Augenblicken der Leidenschaft. Und jetzt hast du es ausgeschaltet.«
    »Ich hatte einfach große Sehnsucht nach dir, Lina, und ich will nicht, dass uns jemand stört.«
    »Ich bin gerührt. Ich fange gleich an zu heulen. Du hastdie ganze Zeit niemanden angerufen. Nicht einmal Mama und Papa.«
    »Sie sind alte Leutchen. Sie schlafen nachts.«
    »Ich schätze, die Ermordung deines Chauffeurs wäre ein ausreichender Grund gewesen, sie zu wecken.«
    »Komm, hör auf, mir gehts mies genug.«
    »Ich vermute, es geht um was ganz anderes. Deine Firma wird von der Steuerbehörde attackiert oder von Kriminellen, von Konkurrenten
     oder von allen gleichzeitig. Vergiss nicht, morgen früh die Banken anzurufen wegen der Kreditkarten.« Sie gähnte und drehte
     ihm den Rücken zu.
    Stas konnte nicht einschlafen. Er wurde von einem nervösen Zittern geschüttelt, er wälzte sich hin und her und ließ Evelina
     nicht schlafen – nach einer Stunde zwang sie ihn, drei Schlaftabletten zu nehmen. Er schlief wie ein Toter bis halb eins und
     hörte nicht, wie Evelina ging. Erst das Telefonklingeln hatte ihn geweckt.
    Nach dem Duschen schlurfte er in die Küche und kochte sich einen starken Kaffee. Erneut schnarrte das Telefon. Stas zuckte
     zusammen und zerschlug die Zuckerdose. Er hob ab – Schweigen. Er wollte sofort wieder auflegen, vernahm aber deutlich Musik.
     Er erkannte die Beatles – den Kultsong »Yesterday«.
    Eiskalter Schweiß rann ihm übers Gesicht und hinter den Kragen von Evelinas weichem Frotteebademantel. Durch das Dröhnen in
     seinen Ohren hindurch hörte er es an der Haustür klingeln. Auf watteweichen Beinen schlich er in den Flur und verharrte an
     der Tür. Erst jetzt spürte er einen heftigen Schmerz im Fuß und sah die Blutspuren auf dem Boden. Ein Porzellansplitter war
     durch die dünne Pantoffelsohle gedrungen und hatte sich tief in sein Fleisch gebohrt.
     
    Julia kam erst kurz nach zehn zu Hause an, müde, aber zufrieden.
    Sie hatte heute Angela operiert, und es schien alles gut verlaufen zu sein.
    Sie parkte ein, doch bevor sie aussteigen konnte, klingelte in ihrer Tasche das Handy.
    »Guten Abend, Julia«, sagte eine tiefe Männerstimme, »entschuldigen Sie die Störung …«
    »Ich habe Sie doch gebeten, mich nicht mehr anzurufen«, unterbrach ihn Julia.
    »Verzeihung, aber Sie haben mich nicht gebeten, Sie nicht mehr anzurufen, denn das habe ich noch nie getan«, war die höfliche
     Antwort, »wir beide kennen uns bisher nicht, und ich …«
    »Gott sei Dank, dass wir uns nicht kennen!«, knurrte Julia, schaltete das Telefon ab, steckte es in die Tasche und ging rasch
     zur Haustür. Sie hörte nicht, wie die Tür eines hinten auf dem Hof parkenden unauffälligen schwarzen Toyota zugeschlagen wurde,
     sah nicht, wie eine schlanke, lange Gestalt ihr

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