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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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versuchte, sich zu beruhigen, indem er sich sagte, dass
     sie sich bestimmt nicht erinnerte, wie Pjotr Maso aussah.
    »Entschuldigen Sie, Pjotr, mute ich Ihnen damit zu viel zu?«
    »Nein, nein. Alles in Ordnung. Mach ich gern«, sagte Stas knapp.
    »Vielen herzlichen Dank, Sie helfen mir damit sehr, Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig die Besuche bei ihm für
     mich sind. Ich habe zwei kleine Kinder, mein Mann ist den ganzen Tag arbeiten, meine Mutter ist krank, und auch moralisch
     ist das Ganze sehr belastend. Nach jedem Besuch habe ich einen Monat lang Depressionen.«
    »Steht es denn wirklich so schlimm?«, fragte Stas.
    »Das ist gar kein Ausdruck, Sie werden ja sehen.«
    Sie fragte, wann und wo sie sich treffen wollten.
    »Sagen wir um sechs, am alten Zirkus«, entschied Stas rasch und wollte schon auflegen, besann sich jedoch und rief: »Nein!
     Warten Sie! Erinnern Sie sich, wie ich aussehe?«
    »Ach ja, richtig – nein, kein bisschen!«, sagte sie verwirrt. »Das ist so lange her, ich hab Sie ja nur ein-, zweimal gesehen.
     Ich glaube, Sie waren so ein Dicker mit langen Haaren und Brille.«
    »Ich habe fünfzehn Kilo abgenommen, trage das Haar jetzt kurz und anstelle der Brille Kontaktlinsen. Und Sie sind klein und
     dünn, haben zwei Zöpfe und große blaue Augen.«
    »Stimmt alles, aber meine Augen sind dunkelbraun, fast schwarz. Juris Augen sind blau.«
    »Ach ja, natürlich. Entschuldigen Sie, das hatte ich vergessen. Ehrlich gesagt, habe ich sogar Ihren Namen vergessen.«
    »Irina.«
    »Sehr angenehm. Also, Irina: Ich fahre einen kakaobraunen Toyota. Die Nummer lautet …«
    Als Stas aufgelegt hatte, hustete er eine ganze Weile. Von der verstellten Stimme hatte er ein Kratzen im Hals.
    »Irrsinn«, sagte er und trank einen Schluck Mineralwasser aus der Flasche, »ich hab von Anfang gewusst, dass das Irrsinn ist.«
    Indessen rief die Frau, die tatsächlich Irina hieß, jemanden an und gab ihr Gespräch mit Stas fast wortwörtlich wieder.
    »Gut gemacht«, lobte ein verrauchter Bass. »Wenn ihr euch trefft, halt ihn eine halbe Stunde auf. Wie ist dein Eindruck –
     war er sehr nervös?«
    »Ich sag doch, er hat seine Stimme verstellt, er hat sich für jemand anderen ausgegeben, und zwar ziemlich ungeschickt.«
    »Aber war er nervös?«
    »Weiß der Geier!«, rief Irina ärgerlich. »Bin ich etwa Psychologe oder was?«
     
    Sergej Loginow versuchte die Augen zu öffnen, schaffte es aber nicht. Diffuses Licht drang durch seine Wimpern. Seine Gesichtshaut
     spannte, juckte und war ganz hart, wie mit Klebstoff getränkt. Er berührte seine Wange und fühlte etwas Rauhes, Weiches.
    Binden, dachte er, mein Gesicht ist verbunden!
    Er richtete sich vorsichtig im Bett auf. Die Beine taten nicht weh. Die Knie waren nicht mit Verbänden umwickelt. Also waren
     die Stifte nicht entfernt worden. Man hatte ihn wieder einmal angeschwindelt. Schließlich gelang es ihm doch, die Lider ein
     wenig zu öffnen, und das Erste, was er durch die schmalen Spalte sah, war ein hohes Fenster, vor dem sich Kiefernäste wiegten.
    Die Tür ging auf, und eine vertraute Gestalt im weißen Kittel kam herein – Schwester Katja.
    »Guten Morgen«, sagte sie. »Versuch nicht zu sprechen. Das darfst du erst mal nicht. Und versuch nicht, die Augen zu öffnen.
     Leg dich lieber hin und lieg still.«
    »Was ist mit meinem Gesicht?«, wollte er schreien, bekam aber nur ein klägliches Stöhnen heraus. Die Zunge ließ sich nicht
     bewegen, die Lippen waren völlig leblos.
    »Ist dir schwindlig? Übel?« Katja lächelte mitfühlend. »Halb so schlimm, das geht bald vorbei. Das sind die Nachwirkungen
     der Narkose. Ich geb dir jetzt eine Spritze, dann schläfst du drei Stunden, und wenn du aufwachst, bist du ein neuer Mensch.
     Dann darfst du auch was essen.«
    Durch einen fleckigen Schleier hindurch sah er, wie sie die Ampulle aufbrach, und packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf
     und ließ die Ampulle fallen.
    »Spinnst du jetzt total? Lass los, das tut weh!«
    Er grunzte nur leise und schüttelte den verbundenen Kopf.
    »Na schön«, seufzte sie, »ich erzähle dir, was passiert ist. Aber erst lässt du mich los, ja?«
    Er ließ los. Sie setzte sich neben ihm aufs Bett und sprach leise und hastig auf ihn ein.
    »Doktor Awanessow wollte gestern die fällige Routineuntersuchung machen. Ich hab dir Triombast gespritzt, ein spezielles Kontrastmittel
     für Röntgenaufnahmen. Aber du bist dagegen allergisch. Du hast getobt wie ein

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