Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
berührte seine Armbeuge, dann drang die Nadel rasch und schmerzlos in die Vene.
     Katja war eine Meisterin im Spritzen.
    »Na, dann wolln wir mal«, hörte Sergej Awanessows weiche Stimme aus der Ferne.

Zehntes Kapitel
    Zu Hause angelangt, zog Stas Gerassimow sich gleich im Flur nackt aus, tappte barfuß ins Bad, stellte sich unter die Dusche
     und bürstete sich ausgiebig mit einer harten, mit einem duftenden Duschgel getränkten Bürste. Dann rasierte er sich und sang
     dabei: »Good bye, America!«
    Das Telefon klingelte, aber er nahm nicht ab, sondern sang weiter und rieb die frischrasierten Wangen sorgfältig mit Rasierwasser
     ein. Dabei zitterten ihm ein wenig die Hände. In seinem Kopf hallten noch immer die Worte des Sicherheitschefs der Bank seines
     Vaters: »Erst versucht jemand, Ihr Auto in die Luft zu jagen, dann werden Ihre Kreditkarten gesperrt und Ihr Chauffeur getötet.
     Warum?«
    »Darum, weil er es sich anders überlegt hat und mich nicht mehr umbringen will«, flüsterte Stas laut und lächelte sein Spiegelbild
     an.
    Stas mochte sein Gesicht. In jeder Stimmung, in jeder Lage schaute er gern in den Spiegel. Männliche, regelmäßige Züge, nicht
     sehr originell, aber das war ja nicht schlecht. Eine hohe Stirn, gerade, buschige Augenbrauen, die ziemlich tief lagen, wodurch
     sein Blick immer ein wenig wie von unten herauf wirkte.
    Er ging aus dem Bad ins Schlafzimmer, öffnete den riesigen Kleiderschrank und sah nachdenklich die teuren Hemden, Jacketts
     und Hosen durch. Er entschied sich für seinen Lieblingsanzug, blaugrau wie der Himmel kurz vor einem Gewitter, dazu passend
     ein blassblaues Hemd und eine dunkelblaue Krawatte mit strengem Muster. Stas zog sich rasch an, schloss den Schrank, schaute
     in den großen Spiegel, fuhr sich mit der Hand durch das mit einem leichten Gel eingeriebene Haar und schrie plötzlich heiser
     auf.
    Im Spiegel sah er sein Bett. Es war ordentlich gemacht, mit einem schneeweißen Überwurf bedeckt. In der Mittesteckte eine Art Stock, darauf war ein rechteckiges Stück festes Papier gespießt. Einige Sekunden lang stand Stas wie angewurzelt
     da und konnte sich nicht umdrehen. Unterdessen klingelte das Telefon immer weiter.
    Schließlich ging er ganz langsam seitlich zum Bett. Der Stock war ein rostiges Moniereisen. Es war in die Matratze gerammt,
     darauf war ein Foto von Stas gespießt. Er zwang sich, noch näher heranzugehen. Es war sein Lieblingsfoto, aus seiner Studentenzeit.
     Es hatte unter Glas auf seinem Schreibtisch gelegen.
    Stas rannte in sein Arbeitszimmer und überzeugte sich, dass die übrigen Fotos noch an Ort und Stelle waren. Anschließend überprüfte
     er die Schubladen. Darin lag Geld, fünftausend Dollar in Hunderterscheinen in einer flachen Zigarrenkiste. Ohne nachzuzählen,
     sah er, dass das Geld nicht angetastet worden war.
    Mit einem großen Müllsack kehrte Stas zurück ins Schlafzimmer, nahm das Foto ab, bestrebt, es nicht anzusehen, riss es rasch
     in kleine Schnipsel und warf diese in den Sack. Dann mühte er sich damit ab, das Moniereisen aus der Matratze zu ziehen. Es
     war tief hineingestoßen worden und hatte sich durch das Bett hindurch in eine Parkettritze gebohrt.
    Endlich vernahm Stas ein dumpfes Reißen, und er hielt ein etwa einen Meter langes Stück Eisen in der Hand, so krumm und rostig,
     dass seine Hände sich rot färbten. Er riss Überwurf, Bettdecke und Laken herunter und stopfte alles zusammen mit dem Eisen
     in den Müllsack. Ein paar Sekunden lang starrte er auf das Loch in der Matratze, dann ließ er sich mit einem heiseren, animalischen
     Stöhnen neben dem Müllsack auf den Boden fallen.
    Er wäre wohl noch lange dort sitzen geblieben – doch das Telefon klingelte erneut. Stas sprang auf und lief, sich die Hände
     waschen. Die Seife brannte auf den Handflächen;sie waren bis aufs Blut zerschrammt. Er fand im Badschrank ein Fläschchen Peroxid und goss es sich auf die Hände, ohne das
     Brennen zu spüren. Dann ging er ins Arbeitszimmer. Der untere, geschlossene Teil des Bücherschranks enthielt unter anderem
     eine große Holzschatulle. Rasch fand er darin, was er suchte: eines seiner alten Telefonbücher. Mit zitternden Händen blätterte
     er darin und verharrte auf der gesuchten Seite.
    Er wählte eine Nummer, die er seit über fünfzehn Jahren nicht mehr angerufen hatte.
    Er rechnete nicht damit, dass jemand rangehen würde, vernahm jedoch beinahe sofort die zitternde Stimme einer alten Frau.
    »Guten

Weitere Kostenlose Bücher