Der falsche Engel
sich Julia, angestrengt lächelnd.
»Nein, danke«, antwortete Angela ruhig, griff nach dem obersten Foto und riss es mit einem leisen Ratsch entzwei, legte die
Hälfte, die sie selbst zeigte, beiseite, und schickte sich an, die andere Hälfte, die mit Objekt A, in winzige Schnipsel zu
reißen.
»He, was machst du da?«
»Er ist ein Mistkerl. Ein Schwein. Ich hasse ihn«, krächzte Angela.
Nikolai nahm vorsichtig die Plastiktüte mit der Pistole, überprüfte durch die Folie hindurch, ob sie gesichert war, sah sich
die Waffe genau an, streifte die Tüte herunter und roch ausgiebig an der Pistole.
»Eine gute Knarre«, murmelte er, »eine nagelneue PSM mit acht Schuss, Kaliber 5,45. Vor kurzem erst benutzt.«
»Wie kommst du zu diesem Spielzeug, Lina?«, fragte Stas, dessen Stimme nach einem ausgiebigen Husten ganz belegt war.
Die Frage blieb unbeantwortet. Evelina und der Gorilla schienen ihn komplett vergessen zu haben.
»Was ist eine PSM?«, fragte Evelina.
»Eine Stetschkin-Pistole, modernisiert. Ein ausgezeichnetesModell, meine Liebe«, antwortete der Leibwächter nachdenklich. »Wird von Kriminellen selten benutzt, weil sie auf dem Schwarzmarkt
kaum angeboten wird. Sie ist klein und leicht, sehr gut versteckt zu tragen. Eine Waffe für Geheimdienstler. Wann haben Sie
sie entdeckt?«
»Heute Nachmittag, beim Saubermachen.«
»War sie in der Tüte?«
»Ja. Genau so und genau dort hab ich sie gefunden, hinter den Büchern.«
»Haben Sie sie aus der Tüte genommen? Sie angefasst?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Sehr gut, das war richtig.«
»Erst wollte ich gleich die Miliz anrufen, aber dann fiel mir ein, dass in der ganzen Zeit nur eine Person in meiner Wohnung
war. Stas Gerassimow. Er war hier oft ziemlich lange allein. Nach der Ermordung seines Chauffeurs …«
»Was redest du da, Lina?«, schrie Stas. »Überleg dir doch, was du sagst!«
Nikolai wandte sich zu ihm um. »Unterbrechen Sie uns bitte nicht, Stanislaw.«
»Was denn, darf ich gar nichts mehr sagen? Diese Idiotin meint, ich hätte die Pistole bei ihr versteckt. Bevor wir weiterreden,
sollten wir erst mal eines klarstellen: Die Pistole gehört mir nicht. Ich hatte noch nie im Leben eine Waffe in der Hand.
Die Pistole wurde untergeschoben.«
»Hör zu, Gerassimow« – Evelina wandte sich energisch mit dem ganzen Körper zu ihm um –, »findest du nicht, du solltest dich
bei dieser Idiotin, also bei mir, vor allem bedanken, dass sie, also ich, nicht die Miliz angerufen hat, sondern deinen Vater?
Wäre dein blödes Handy nicht abgeschaltet gewesen, hätte ich dich angerufen.«
»So, jetzt beruhigen wir uns mal«, mischte sich Nikolai ein. »Stanislaw, wenn ich das richtig sehe, haben Sie heute hier übernachtet?«
»Ja«, knurrte Stas.
»Wann sind Sie gegangen?«
»Gegen drei. Sag mal, was geht dich das eigentlich an, Nikolai? Wieso verhörst du mich hier? Mit welchem Recht?«
»Ich bin Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Bank«, erklärte Nikolai geduldig und wandte sich an Evelina: »Und wann sind
Sie nach Hause gekommen?«
»Um vier.«
»Dazwischen lag also rund eine Stunde. In dieser Stunde war niemand in der Wohnung. Als Sie nach Hause kamen, haben Sie gleich
mit dem Saubermachen angefangen?«
»Ganz recht.« Evelina nickte.
»Und dann haben Sie das Haus nicht mehr verlassen?«
»Doch. Ich hab den Müll rausgebracht.«
»Sie hatten hundert Gelegenheiten, die Pistole unterzuschieben«, sagte Stas, nun etwas ruhiger. »Und dass ich hier übernachtet
habe, wussten sie ganz genau. Sie haben mich hier angerufen.«
»Moment mal, wer – sie?«, fragte Nikolai.
»Die Leute, die hinter mir her sind. Genauer gesagt, ein Mann. Ein Psychopath. Er hat wegen Mordes gesessen.«
»Augenblick, der Reihe nach bitte. Wer hat hier angerufen?«
»Der Mörder.«
»Ach, so hat er sich gemeldet?«, fragte Evelina mit sanftem Lächeln.
»Nein. Er hat geschwiegen.«
»Und woher wussten Sie, wer es ist?«, erkundigte sich Nikolai.
Stas sah sich mit abwesendem Blick um. Sein Gesicht war von bläulicher Leichenblässe, seine Augen waren eingefallen.
»Was wollt ihr bloß alle von mir?« Er senkte den Kopfund schlug die Hände vors Gesicht. »Ich bin müde. Ich kann nicht mehr.«
Angela klaubte die Papierschnipsel zusammen, stopfte sie unters Kissen und wiederholte: »Schwein, Mistkerl!«
Julia sah ihr schweigend zu. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Vika kam hereingestürmt.
»Julia,
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