Der falsche Engel
genau so, wie sie gerade
empfindet, und macht sich überhaupt keine Gedanken über die Reaktionen ihrer Umwelt. Das ist nun mal ihr Temperament. Und
der Oberst hat uns also die ganze Zeit beobachtet und belauscht. Wieso hat er sonst im Sprechzimmer angerufen? Mein Handy
war an, und es gab nichts Dringendes. Er wollte nur nicht zulassen, dass Angela mir den Namen von Objekt A verrät. Aber was
interessiert mich sein Name?
Der Sicherheitsmann sah auf und schaute ihnen aufmerksam nach.
Julia nickte ihm zu. »Schönen Tag noch.« Er nickte höflich zurück. Julia gelobte sich innerlich, Angela nicht nach dem zerrissenen
Foto zu fragen.
Im Auto schaltete sie Musik an. Im Recorder lag eine Wertinski-Kassette.
»Ihr violetter Abt hat viel Freude gehabt und lässt die Sünden ab mit Rabatt«, sang der wundervolle weiche Tenor.
»Ach, aus dem Song wollten wir einen Videoclip machen«, erklärte Angela, »aber dazu sind wir nicht mehr gekommen. Alles wegen
dieses Schweins. Wissen Sie, es gibt solche Mistkerle, die hängen an dir wie die Kletten, und wenn du sie zum Teufel jagst,
dann verkünden sie überall, du hättest sie genervt, du wärst ihnen dauernd nachgerannt.«
»Ich weiß.« Julia lächelte gezwungen und fuhr rasch und ein wenig gekünstelt fort: »Wie in dem Witz über Wassja und Brigitte
Bardot.«
»Wie geht der?«
»Brigitte Bardot kommt nach Moskau. Die Bodyguards können die Fans kaum bändigen. Empfänge, Kreml, Bolschoi-Theater, das ganze
Programm. In der letzten Nacht vor ihrer Abreise kommt ein kleiner Mann in ihr Zimmer gerannt, völlig aufgelöst. Sie will
die Sicherheitsleute rufen, aber der Mann fällt vor ihr auf die Knie und sagt: ›Ich flehe Sie an, beruhigen Sie sich, ich
bin vollkommen harmlos. Ich verehre Sie, ich habe alle Ihre Filme zwanzigmal gesehen. Ich habe eine große Bitte an Sie. Wenn
Sie morgen die Gangway hochgehen, drehen Sie sich zur Menge um und rufen Sie: Wassja! Und winken Sie. Mehr will ich gar nicht.‹
Am nächsten Tag fliegt sie. Auf dem Flughafen zahllose Fans. In der Menge steht Wassja. Sie steigt die Gangway hoch und tut,
worum er sie gebeten hat. Und er brüllt laut, über die ganze Menge hinweg: ›Lass mich in Ruhe, dumme Kuh! Ich hab dich satt!‹«
»Solche wie diesen Wassja würde ich am liebsten mit eigenen Händen erwürgen«, murmelte Angela.
»Wieso, nerven die Fans Sie so?« Julia lächelte mitfühlend.
»Wer redet von Fans? Nein, so ein Idiot hat mir das Leben schwer gemacht. Bloß dass er nicht Wassja heißt, sondern Stanislaw
Gerassimow. Haben Sie gesehen, wie ich das Foto zerrissen habe?«
»Hab ich.« Julia nickte und dachte: Ob uns der Herr Oberst jetzt auch zuhört, und wenn ja, was mag er dazu sagen?
»Das ist er. Stas Gerassimow«, knurrte Angela hasserfüllt. »Ich hasse ihn. Wie er sich an mich gehängt hat, das hätten Sie
sehen sollen! Äußerlich wirkte er ganz normal. Aber dann hab ich begriffen: Ein Spinner. Ein absoluter Scheißkerl. Also hab
ich ihn zum Teufel gejagt. Und er? Nicht nur, dass er überall rumerzählte, ich hätte mich an ihn gehängt wie eine Klette,
nein, er hat außerdem das Gerücht verbreitet, ich würde Pillen nehmen und hätte ihn auch dazu bringen wollen, bloß um ihn,
den Sexgiganten, ins Bett zu kriegen.«
»Hattest du wegen seiner Schwindeleien Unannehmlichkeiten?«
»Unannehmlichkeiten? Na ja, man hat mir ein bisschen das Gesicht verhunzt. Sonst nichts.«
»Entschuldige, das verstehe ich nicht.«
»Das war alles seinetwegen, begreifen Sie? Das alles hier« – sie tippte mit dem Finger gegen ihren Verband – »habe ich Stas
Gerassimow zu verdanken!«
Julia bremste abrupt. Sie fuhren durch eine dunkle enge Gasse, und ein Hund überquerte gemächlich die Fahrbahn.
Angela schrie auf, öffnete unwillkürlich den Mund und stöhnte sofort: »Au, tut das weh!«
»Mein Gott, was ist los?« Julia lenkte langsam zur Bordsteinkante. »Wo tut es weh?«
Hinter ihnen quietschten Bremsen und flammten Scheinwerfer auf. Julia begriff plötzlich, dass der bescheidene dunkelblaue
ausländische Wagen mit der Antenne auf dem Dach und der einprägsamen Nummer 123 ihnen die ganze Zeit gefolgt war.
Na ja, kein Wunder – der Junge an der Wache hat gemeldet, dass wir die Klinik gemeinsam verlassen haben, und dahaben sie sich an meinen Wagen gehängt, wie in einem Agentenfilm.
»Können Sie bitte mal nachsehen, was da ist? Es tut furchtbar weh.«
»Dazu müsste ich den Verband
Weitere Kostenlose Bücher