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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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verzeihen Sie, da bin ich machtlos.«
    »Was meinst du damit?«, keuchte der General empört und starrte Raiski an. Der Blick seiner geschwollenen roten Augen war unangenehm.
    »Als ich mit Stas sprach und er mir von seinem Besuch bei dem verstorbenen Michejew in einer nicht existierenden Wohnung erzählte,
     habe ich gespürt, dass er log. Und er hat absolut keinen Grund, so zu lügen. Warum also? Eine reaktive Psychose? Halluzinationen?«
    Der General atmete schwer. Große Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
    »Ich weiß es nicht, Michail«, flüsterte er, »ich weiß es nicht.«
     
    Julia kam herein, und Sergej merkte erstaunt, dass er sich freute. Sie war zwei Tage nicht erschienen. Inzwischen hatte er
     wieder sprechen gelernt, zumindest konnte er ein wenig die Lippen bewegen.
    »Guten Morgen«, sagte er und richtete sich im Bett auf. »Wo haben Sie so lange gesteckt?«
    »Guten Tag. Ich durfte für ein paar Tage nach Hause. Na, wie stehts?«
    Er sah ihre lächelnden Augen über der Maske, und ihm fiel ein, dass er sie eigentlich hassen wollte und sogar geglaubt hatte,
     davon würde ihm leichter.
    »Könnten Sie nicht die Binde abnehmen?«, bat er plötzlich.
    »Genau das habe ich vor.« Sie setzte sich neben ihn und streckte die Hände aus, wobei ihn ihr vertrauter Duft streifte.
    »Nein, nicht meine. Ihre. Ich möchte gern Ihr Gesicht sehen.«
    Ihre Hände verkrampften sich leicht.
    »Verstehe« – er schloss die Augen –, »ich darf Ihr Gesicht nicht sehen. Damit ich, wenn alles vorbei ist und ich wieder frei
     bin, nicht auf die Idee kommen, Sie zu suchen, nicht?«
    »Würden Sie wirklich auf eine so dumme Idee kommen?«, flüsterte sie ihm ins Ohr, und er spürte durch die Maske hindurch die
     Wärme ihres Atems.
    »Natürlich nicht«, brummte er so laut es ging, »wenn ich hier raus bin, werde ich Sie so schnell wie möglich vergessen.«
    »Vernünftig.« Sie nickte und öffnete das Köfferchen mit dem Lasergerät. »In einem Monat müssen wir uns allerdings noch einmal
     wiedersehen. Da muss ich die Narben entfernen, die nach dem vollständigen Verheilen noch geblieben sind. So, Schluss jetzt.
     Schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich.«
    Etwas Merkwürdiges ging mit ihm vor, während er mit geschlossenen Augen vor ihr saß. Er atmete ein wenig schneller, und er
     hätte Julia schrecklich gern berührt. Einfach so. Oder nicht einfach so. Wahrscheinlich genas er allmählich. Ihm fiel ein,
     dass er sich seit über zwei Jahren keiner Frau genähert hatte. Natürlich hatte es flüchtige Bettgenossinnen gegeben. Sie hatten
     geflucht wie Männer, waren jederzeit bereit, wen auch immer zu lieben, egal wo. Sie rochen nach Schweiß und Schnaps. Ihnen
     fehlten Zähne. Bei ihnen bedurfte es keiner besonderen Zeremonien, man musste sich nur vor eventueller Ansteckung schützen.
     Diese Frauen vergaß man nicht erst am nächsten Tag, sondern bereits nach einer halben Stunde. Sie wurden genauso getötet wie
     die männlichen Soldaten.
    Nein, es liegt nicht an der Ärztin. Sie ist schön, aber trotzdem. Ich habe einfach vergessen, dass es Frauen wie sie gibt.
     Eine andere Sorte Mensch, nein, eine andere Galaxis.
    Julia war mit der Laserbehandlung fertig und legte ihm einen neuen Verband an.
    »Gut so? Drückt es auch nicht?«
    »In Ordnung«, brummte er mürrisch.
    Ich bin für sie ein Versuchskaninchen. Bald ist das Ganze vorbei, und sie kehrt zu ihrem normalen Leben zurück. Wie sieht
     ihr Leben aus? Eine große, gemütliche Wohnung. Ein Mann … Ja, hat sie eigentlich einen Mann?
    »Haben Sie einen Mann?«, quetschte er möglichst undeutlich hervor, in der feigen Hoffnung, sie würde die Frage nicht verstehen.
     Aber sie hatte verstanden und antwortete rasch: »Nicht mehr. Wir sind geschieden. Ich habe eine Tochter, Schura, sie ist vierzehn.«
    »Ein schwieriges Alter. Pubertät. Ist Ihr Exmann auch Arzt?«
    »Ja. Hören Sie, Sie sollten noch nicht so viel sprechen.«
    Na bitte. Sie hat mich schon über. Klar – wer unterhält sich schon gern mit einem Versuchskaninchen?
    »Eine letzte Frage«, sagte er leise und düster, »haben Sie mich nach einer bestimmten Vorlage gemacht oder war das improvisiert?«
    Sie schüttelte schweigend kaum merklich den Kopf und sah ihn so vielsagend an, dass er sich an etwas erinnerte, woran er stets
     denken sollte: Das Zimmer war nicht nur mit Abhöreinrichtungen ausgestattet, sondern auch mit einer Videokamera. Das glänzende
     schwarze Auge ragte unverblümt

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