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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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einen, und zweitens werden wir beide nie erfahren, ob er es weiß oder nicht.«
    »Wenn es Blutrache wäre, würde er mich töten«, wiederholte der General mürrisch, »mich, nicht Stas. Was hat Stas damit zu
     tun?«
    »Der Tod des einzigen Sohnes wäre ein ziemlich empfindlicher Schlag«, murmelte Raiski kaum hörbar. »Aber Blutrache spielt
     hier wahrscheinlich tatsächlich keine Rolle. Es geht um die Sängerin. Ismailow hat einen Fehler begangen. Er hat Angela brutal
     bestraft, sie schwer verletzt, und dann hat er erfahren, dass er im Unrecht war.«
    »Was heißt im Unrecht? Das verstehe ich nicht.« Der General runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Warum redest du um
     den heißen Brei herum, Michail?«
    »Sie hatten keine Affäre.« Raiski lächelte traurig. »Stas war beleidigt und hat deshalb überall rumerzählt, Angela sei ihm
     nachgelaufen, und sie sei drogenabhängig. Die Gerüchte kamen Ismailow zu Ohren, er rastete aus, zertrümmerte seiner Geliebten
     das Gesicht und erfuhr dann, dass das alles gelogen war.«
    »Idiot!«, stöhnte der General klagend. »Mein Gott, warum ist er nur so ein Idiot?«
    »Wer?«
    »Mein einziger Sohn, wer sonst! Na schön, mit Stas rede ich noch einmal allein. Nehmen wir an, du hast recht. Aber warum gab
     es dann keinen weiteren Anschlag? Was hat Ismailow von dem Theater mit den Kreditkarten, dem Mord an dem Chauffeur, der Pistole?«
    »Darüber zerbreche ich mir, ehrlich gesagt, selber den Kopf«, seufzte Raiski. »Ich habe keine rechte Antwort. Nur ein paar
     Vermutungen.«
    »Dann raus damit!«, herrschte Gerassimow ihn an.
    »Ismailow neigt dazu, in jedem Ereignis einen geheimen Sinn zu sehen, den Willen Allahs. Allah hat seinen Beleidiger am Leben
     bleiben lassen, also muss er eine andere Strafe wählen. Ihn zum Beispiel in den Wahnsinn treiben, ins Gefängnis bringen …
     Der Tschetschene wird ihn jagen, aber nicht töten. Das ist das Entscheidende.«
    »Aber du bist seit Jahren vergebens hinter dem Tschetschenen her.« Der General lachte bitter. »Der ist eine zu harte Nuss
     für dich, Michail. Meine Mannschaft hatte vor fünfzehn Jahren mehr Erfolg.«
    »Das waren andere Zeiten.« Raiski lächelte. »Die Aufgaben waren andere und auch die Mittel. Ihre Leute hatten an der tadshikischen
     Grenze einen Drogenkurier festgenommen, ihn gehörig unter Druck gesetzt, und er hat seinen Chef verraten. Und von dem Chef
     aus wurde das Ganze aufgerollt. Am Ende haben Sie den Sekretär der KPdSU-Gebietsleitung der Tschetscheno-Inguschischen ASSR
     Hassan Ismailow verhaftet. Merken Sie, wie nostalgisch die Geschichte klingt und wie irreal sie heute wäre?«
    »Lass mal, Michail« – der General runzelte die Stirn –, »das war damals auch kein Zuckerschlecken. Ich stand dauernd auf der
     Matte, musste mir in verschiedenen Instanzen anhören, ich solle den Fall still und heimlich begraben, bekam sogar versteckte
     Drohungen. Ismailow war Träger des Leninordens und des Ordens der Völkerfreundschaft, seine Büsten standen nicht nur in seinem
     Heimatdorf, sondern in ganz Tschetschenien, ganz oben sah man in ihm den künftigen Führungskader der Republik. Und sein ältester
     Sohn Schamil hatte gerade die KGB-Hochschule abgeschlossen. Wenn Allah oder diese Sängerin ihn heute davon abhalten, Stas
     zu töten – wer garantiert uns, dass die drei es sich nicht morgen anders überlegen?«
    »Keiner.« Raiski nickte. »Aber das ist unwichtig.«
    »Was heißt unwichtig?« Der General sprang auf und rannte zum Schreibtisch. »Überlegst du dir, was du sagst? Verrate mir endlich:
     Was wirst du unternehmen?«
    »Ich werde es Ihnen verraten und sogar zeigen. Aber nicht heute.« Raiski lächelte geheimnisvoll. »Ein wenig Geduld noch, Genosse
     General. Habe ich Sie jemals enttäuscht? Ich garantiere Ihrem Sohn vollkommene Sicherheit, und ich bürge für meine Worte.«
    Raiski entschloss sich endlich, sich eine Zigarette anzuzünden. Er stand auf, öffnete das Fenster einen Spalt, setzte sich
     aufs Fensterbrett und tat mit Behagen den ersten Zug.
    »General, bedauern Sie es nicht, dass Ihre herrliche Villa auf Korfu leersteht? Stas könnte ein bisschen Urlaub und einen
     Tapetenwechsel gut gebrauchen. Auch für Sie und Natalja wäre das nicht schlecht.«
    »Dann würde man denken, Stas sei geflohen. Es gibt jede Menge Indizien gegen ihn, und der Verdacht ist da, das ist nicht zu
     ändern.«
    »Das lassen Sie meine Sorge sein. Aber was seine psychische Gesundheit angeht,

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