Der falsche Freund
Don gesagt, dass ich mir ein Haus ansehe. Ein potenzielles neues Arbeitsprojekt.«
»Oh.«
Ein paar Minuten lang hörte man nur das Knirschen des gefrorenen Grases unter unseren Füßen. Ich war mir sicher, dass wir gerade beide an dasselbe dachten – jene seltsame Stunde, in der wir uns getroffen hatten, um wie zwei Hexen die Köpfe zusammenzustecken, im Flüsterton Pläne zu schmieden und verstohlen ein paar Dinge auszutauschen. Sie hatte aus ihrer Tasche eine kleine Plastiktüte mit ein paar dunklen Haaren hervorgeholt, die sie aus Brendans Bürste gezogen hatte, außerdem das in weiche Papiertücher gehüllte Tranchiermesser mit der gezackten Klinge, das sie mir vorsichtig reichte, um ja nicht den hervorlugenden Griff zu berühren. Dann hatte sie ein dunkelblaues Hemd herausgeholt und vor uns ausgebreitet. Ich hatte ihr meinen linken Zeigefinger hingehalten, in den sie, widerstrebend und nervös auf ihrer Unterlippe kauend, mit einer Sicherheitsnadel hineinstach. Aus meiner Fingerspitze quoll ein dunkler Tropfen Blut, den ich in Kragennähe über das Hemd verteilte. Anschließend rieb ich noch ein paarmal mit dem Finger über den Stoff.
»Darf ich Sie was fragen?«, brach Naomi jetzt das Schweigen.
»Klar.«
»Wie haben Sie das mit Ihrer Wange damals so hinbekommen? Sie haben bei der Verhandlung noch schrecklich ausgesehen, obwohl das Ganze doch schon Wochen zurücklag.«
Das schien alles so lange her zu sein.
»Als ich Don draußen kommen sah, knallte ich mein Gesicht gegen die Wand, so fest ich konnte, als würde mich jemand an den Haaren halten und dagegenschleudern. Das habe ich so lange wiederholt, bis ich vor lauter Blut nichts mehr sehen konnte.«
»Wie haben Sie das bloß geschafft?«, flüsterte sie.
»Ich habe an Troy gedacht – auch an Laura, aber hauptsächlich an Troy. Da fiel es mir plötzlich ganz leicht; einen Moment lang tat es mir sogar irgendwie gut. Es war überhaupt kein Problem.«
Naomi nickte, als könnte sie mich verstehen.
»Sie müssen mir auch etwas erzählen«, sagte ich. »Ich hatte bisher nie die Zeit, Sie danach zu fragen.«
»Ja?«
»Wie haben Sie die Wahrheit über Brendan herausgefunden?«
»Sind Sie sicher, dass Sie das wissen wollen? Es könnte vielleicht schmerzhaft …«
»Sagen Sie es mir.«
»Er hat mir berichtet, was er mit Troy gemacht hat, und gesagt, er würde mit mir dasselbe tun, wenn ich ihn verließe.«
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und ich spürte ein Brennen hinter den Augen. Ich blinzelte in den Wind, blieb aber nicht stehen. Irgendwie ist es leichter, über schreckliche Dinge zu sprechen, wenn man sich bewegt und den Blick dabei auf einen Punkt in der Ferne richtet.
»Er hat Ihnen wirklich davon erzählt?«
»Ja.«
»Warum?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht aus demselben Grund, warum er den Strick behalten hat? Aus einer Art wahnhaften Selbstsicherheit heraus? Manches werden wir wahrscheinlich nie erfahren, oder?«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber warum sind Sie dann nicht zur Polizei gegangen?«
»Ich musste daran denken, wie es Ihnen ergangen war. Ich wusste nicht, ob man mir glauben würde.«
»Was genau hat er gesagt?«
»Dass er ihn mit Tabletten voll gepumpt und dann an dem Balken aufgehängt hat. Dass er ihn einfach sterben ließ.«
»Was noch?«
»Er hat gesagt –« Sie wandte sich kurz zu mir, dann richtete sie den Blick wieder auf den Weg. »Er hat gesagt, Troy habe noch versucht, etwas zu sagen.«
»Was?« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Er hat versucht, Ihren Namen zu sagen.«
Ich lief weiter, setzte einen Fuß vor den anderen. Es ist schwer zu verstehen, wie man es schafft weiterzugehen, wenn der Schmerz so groß ist, dass man eigentlich nur noch den Wunsch verspürt, sich zusammenzukrümmen, die Arme um den Körper zu schlingen und wie ein Baby zu schreien. Er hatte versucht, meinen Namen zu rufen, weil er glaubte, dass ich bald nach Hause käme. Ich hatte ihm versprochen zu kommen. Er hatte gehofft, ich könnte ihn noch retten. Aber ich war spät dran. Ich kam nicht.
»Geht es einigermaßen?«
Ich brachte ein zustimmendes Geräusch zustande.
»Ich nehme an, das hat ihm gehört.« Naomi zog eine Hand aus der Jackentasche und hielt mir ein Lederarmband mit drei matten Holzkugeln hin.
Ich nahm das Armband. »Ja, das hat ihm gehört. Seit er klein war. Er hat es sich gekauft, als wir mal alle zusammen in Italien im Urlaub waren. Es ist bloß ein billiges Ding.«
Trotzdem drückte
Weitere Kostenlose Bücher