Der falsche Freund
später zieht er mit Kerry bei mir ein. Für mich ist es ganz schrecklich, die beiden in der Wohnung zu haben. Ehe ich michs versehe, bin ich ausgezogen. Nach Tagen des Manövrierens ist das Ergebnis, dass ein Mann, dessen Anwesenheit bei mir einen akuten Brechreiz auslöst, in meiner Wohnung lebt und ich selbst obdachlos bin.«
»Du wohnst hier bei mir«, widersprach Laura. »Du bist nicht obdachlos.«
Ich nahm sie in den Arm und drückte sie fest.
»Das ist so lieb von dir«, sagte ich und floss dabei vor Rührung fast über.
Einen unbeteiligten Beobachter hätte unser Anblick in dem Moment wahrscheinlich an zwei Betrunkene nach einem Pubbesuch erinnert.
»Wobei ich allerdings sagen muss, dass ich neugierig bin«, fuhr Laura fort.
»Worauf?«
»Auf diesen Brendan. Nach allem, was du erzählst, muss er so schrecklich sein, dass ich ihn mir wirklich gern mal ansehen würde. Wie eine von den skurrilen Attraktionen in einem alten Zirkus. Wer traut sich, einen Blick auf die bärtige Dame zu werfen?«
»Du glaubst, ich übertreibe.«
»Ich möchte ihn einfach mal live erleben«, entgegnete Laura mit einem Lachen. »Ich möchte sehen, was nötig ist, um dich zum Kotzen zu bringen.«
Am nächsten Tag fuhr ich früh zur Arbeit, damit Tony und Laura ein bisschen allein sein konnten. Ich war noch immer in dem Haus in Hampstead beschäftigt, weil den Besitzern ständig etwas Neues einfiel, was sie geändert haben wollten. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass ihnen die Beleuchtung im Wohnzimmer nicht gefiel, und entschieden sich statt für Wandlampen für Halogenstrahler an der Decke. Das venezianische Rot im Schlafzimmer war ihnen zu dunkel, nein, eigentlich war es ihnen zu rot … vielleicht hätten sie doch lieber das Erbsengrün nehmen sollen. Der Herr des Hauses, ein gewisser Sam Broughton, hatte angekündigt, dass er mittags vorbeikommen würde, um die Feinheiten mit mir zu besprechen.
Ich verbrachte den Vormittag damit, das graustichige Holz der Türen und Fußleisten glänzend weiß zu streichen.
Als Sam Broughton schließlich aus der City eintraf, informierte er mich darüber, dass er höchstens zwanzig Minuten Zeit habe. Ich zückte gerade meinen Notizblock, um mir bei unserer Runde durch das Haus seine Änderungswünsche aufzuschreiben, als mein Handy läutete.
»Tut mir Leid«, sagte ich zu ihm. »Nach diesem Gespräch schalte ich es ab. Hallo?«
»Miranda? Gott sei Dank erwische ich dich.«
»Ich bin gerade mitten in einer Besprechung, Mum. Könntest du mich ein bisschen später noch mal anrufen, sagen wir in …«
»Es handelt sich um einen Notfall, sonst würde ich dich nicht stören.«
Ich drehte mich ein wenig von Broughton weg, der seine Ungeduld zum Ausdruck brachte, indem er alle drei Sekunden auf die Uhr schaute. Durchs Fenster sah ich ein Eichhörnchen reglos in einem Kastanienbaum sitzen. »Was ist passiert?«
»Ich habe gerade einen Anruf von Troys Privatlehrerin bekommen. Sie sagt, Troy ist nicht zum Unterricht erschienen.«
»Das ist kein richtiger Notfall, Mum.«
»Er war schon seit Tagen nicht mehr bei ihr.« Sie schwieg einen Moment. »Fast die ganze letzte Woche.«
»Das klingt allerdings nicht gut.«
»Es ist genau wie damals. Er tut, als ginge er, taucht dort aber nicht auf. Und ich dachte, es würde besser!« Ich hörte sie schlucken. »Ich mache mir Sorgen, Miranda. Ich habe zu Hause angerufen, aber da ist er nicht, zumindest geht er nicht ran. Ich habe keine Ahnung, wo er sein oder was er tun könnte, und draußen ist es kalt, und es regnet.« Wieder schluckte sie.
»Was soll ich tun?«
»Ich stecke hier in der Arbeit fest. Ich kann wirklich nicht weg.« Meine Mutter arbeitete in einer Zahnarztpraxis.
»Außerdem ist es von hier aus viel zu weit, ich würde eine Ewigkeit brauchen. In deiner Wohnung habe ich auch schon angerufen, aber da meldet sich bloß der Anrufbeantworter.
Deswegen habe ich mir gedacht, du könntest vielleicht schnell zu uns rüberfahren und nachsehen, ob er zu Hause ist. Und falls nicht, nach ihm suchen.«
»Nach ihm suchen?«
Hinter mir räusperte Broughton sich wütend, während er gleichzeitig mit seinen auf Hochglanz polierten Schuhen auf den frisch lackierten Bodendielen herumklopfte.
»Du kannst viel leichter weg, Bill hat bestimmt nichts dagegen. Und wenn etwas passiert ist …«
»Ich werde rüberfahren und nachsehen«, unterbrach ich sie.
»Mir wird das einfach alles zu viel«, erklärte meine Mutter.
»Was stimmt nur mit uns
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