Der falsche Freund
Gestalt die Sicht.
»Troy«, sagte ich. »Brendan. Was geht hier vor?«
Ich weiß nicht, was ich dachte, aber mein Ton war scharf. Ich schob mich an Brendan vorbei und kniete mich neben Troy, packte ihn an den schmalen Schultern.
»Troy? Alles in Ordnung?«
Er gab mir keine Antwort, sah mich nur an. Sein Blick ging durch mich hindurch. Er kam mir vor wie eins der Katastrophenopfer, die man in den Nachrichten immer sieht. Als wäre er aus den Trümmern eines Flugzeugs oder von einem sinkenden Schiff gerettet worden.
»Schätzchen«, sagte ich, als wäre er noch ein Baby. Am liebsten hätte ich auf der Stelle losgeheult. »Was ist passiert?«
»Ich habe dir ein schönes warmes Bad eingelassen«, meldete sich Brendan zu Wort. »Da legst du dich jetzt rein, und dann bringe ich dir eine heiße Schokolade. Einverstanden, Kumpel?«
Troy nickte.
»Und deine Mum rufen wir wohl besser auch an, hm?«
»Ich begleite dich ins Bad«, erklärte ich.
Ich ließ Troy in der Wanne zurück und ging in die Küche, wo Brendan in dem Chaos, das die Baufirma angerichtet hatte, einen Krug Milch für Troys Schokolade in die Mikrowelle schob. Für ihn war das ein schwieriges Unterfangen, weil er nur seine unverletzte Hand benutzen konnte.
»Ich hatte Marcias Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Anscheinend weiß sie noch nicht, dass du ausgezogen bist«, sagte er. Die Mikrowelle piepte. Er nahm den Krug heraus, schüttete Kakao und Zucker hinein und rührte um, bis es schäumte. »So.« Er nahm einen kleinen Schluck und fügte noch ein wenig Zucker hinzu. »Deswegen hielt ich es für das Beste, selbst nach ihm zu suchen.«
»Wo war er?«
»Unten bei den verlassenen Lagerhallen. Ich weiß auch nicht, wieso ich dort hinunter bin – ich hatte einfach so ein Gefühl, dass er dort sein könnte. Es war wie ein Instinkt. Ich wusste es irgendwie. Manche Menschen besitzen diese Fähigkeit, glaubst du nicht auch?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich ihn nicht gefunden hätte. Ich glaube, es war mir vorherbestimmt, ihn zu retten. Es war Schicksal. Und deswegen habe ich einen Entschluss gefasst.« Er goss die Schokolade in eine große Tasse.
»Ich werde meine Jobsuche aufschieben, bis es Troy wieder gut geht. Troy wird mein neuer Job.«
»O nein«, antwortete ich. »Das halte ich für keine gute Idee.
Ganz und gar nicht. Wenn du mich fragst …«
»Ich frage dich aber nicht«, unterbrach er mich mit ruhiger Stimme.
»Ich sage es dir trotzdem. Troy braucht dich nicht. Ganz im Gegenteil. Was Troy – abgesehen von allem anderen – jetzt am dringendsten braucht, ist, dass du aus seinem Leben …«
»Ich bringe ihm die Schokolade«, unterbrach er mich.
»Du brauchst eigentlich nicht hier zu bleiben. Bestimmt wartet eine Menge Arbeit auf dich.«
»Ich bleibe«, erwiderte ich wütend. »Glaub bloß nicht, dass ich ihn mit dir allein lasse.«
»Ganz wie du meinst«, antwortete er.
16. KAPITEL
»Ich dachte, dir ginge es besser. Ich dachte, es würde endlich alles wieder normal werden.« Meine Mutter lief aufgeregt im Raum auf und ab. Ihr zu einem Knoten geschlungenes Haar hatte sich halb gelöst und hing ihr in Strähnen ins Gesicht.
Außerdem trug sie ihren Pullover verkehrt herum.
»Was genau meinst du mit ›besser‹?«, fragte Troy. »Und was ist schon normal? Kein Mensch ist normal.«
Er saß auf demselben Sofa, auf dem ich ihn am Vorabend gefunden hatte. Auch seine Haltung wirkte wieder genauso schlaff, als hätte er keinen einzigen Knochen im Leib.
»Ach, hör doch auf!«, fauchte meine Mutter.
»Beruhige dich, Liebes«, sagte mein Vater, der mit dem Rücken zum Fenster stand. Er war früher aus Sheffield zurückgekommen und trug noch seinen Anzug. Allerdings hatte er sich nicht rasiert, und der Knoten seiner Krawatte war gelockert. Er sah nicht gerade nach einem totalen Nervenzusammenbruch aus, aber doch ein wenig seltsam, fast verwegen.
»Ich soll mich beruhigen? Ist das alles, was dir dazu einfällt?
Diesen Rat gibst du mir jedes Mal, wenn etwas schief läuft.
Warum kommst du zur Abwechslung nicht mal auf die Idee, uns allen eine schöne Kanne Tee zu kochen?«
»Marcia …«
»Ich möchte, dass mal jemand anders sich um alles kümmert, nicht immer nur ich.«
Ich warf einen Blick zu Troy. Durchs Fenster schien die Sonne auf sein seidiges Haar, und er machte einen ruhigen Eindruck.
Als er meinen Blick spürte, hob er den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und schenkte mir ein
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