Der falsche Freund
Mundpartie leicht verkniffen.
»Vergiss es, das war keine gute Idee«, sagte ich genau in dem Augenblick, als er antwortete: »Wenn sie dich wirklich so nerven …«
»Ich hätte dich gar nicht erst fragen sollen.«
»Natürlich, wieso denn nicht?«, entgegnete er eine Spur zu munter. »Du weißt ja, wie klein meine Wohnung ist, und es ist vielleicht ein bisschen früh, aber ich wollte vorhin sagen, dass du gerne …«
»Nein. Vergiss, dass ich überhaupt gefragt habe.«
Aber er würde es nicht vergessen, und ich auch nicht – dieses kurze Aufflackern von Bestürzung und Missbilligung, die kleine Pause, in die all unsere Zweifel flossen. In dem Moment wusste ich ganz sicher, was ich spätestens seit Venedig schon geahnt hatte: dass es nicht von Dauer sein würde. Es würde doch nichts Großes daraus werden, sondern eine nette kleine Affäre bleiben.
Wir hatten uns ineinander verliebt und dabei jenes rauschhafte Glücksgefühl empfunden, das fast mit dem fiebrigen, leicht umnebelten Zustand vergleichbar ist, in den man verfällt, wenn man die Grippe bekommt. Wir hatten schlaflose Nächte miteinander verbracht und tagsüber oft aneinander gedacht, uns daran erinnert, was der andere gesagt hatte, uns danach gesehnt, uns wieder im Arm zu halten. Für kurze Zeit, eine Woche oder so, hatten wir vielleicht sogar geglaubt, dass der andere der Richtige für uns sein könnte. Aber nein, es würde irgendwann zu Ende gehen. Nicht heute, nicht diese Woche, aber bald, weil die Flut, die uns mitgerissen hatte, bereits wieder am Verebben war und nur ein paar mitgeschwemmte Trümmer hinterlassen würde.
Tränen brannten in meinen Augen, und ich ging schneller, zog Nick hinter mir her. Ich wusste, dass ich nicht wirklich ihn vermissen würde, sondern eher den Zustand, mit jemandem zusammen zu sein. Voller Vorfreude nach Hause zu eilen.
Gemeinsame Unternehmungen zu planen. Morgens gut gelaunt aufzuwachen, sich energiegeladen und beschwingt zu fühlen.
Begehrt zu werden. Das Gefühl zu haben, schön zu sein.
Verliebt zu sein. Deswegen wollte ich nicht, dass es endete.
Blinzelnd versuchte ich die Tränen und das Selbstmitleid zu unterdrücken.
»Komm«, sagte ich. »Es wird kalt.«
»Hör zu, Miranda, wenn du möchtest …«
»Nein.«
»Es wäre wirklich kein Problem …«
»Nein, Nick.«
»Ich weiß nicht, wieso du plötzlich so beleidigt bist, nur weil ich nicht sofort …«
»Hör auf«, sagte ich. »Lass es sein. Bitte.«
»Was?«
»Du weißt schon.«
»Nein, weiß ich nicht.« Er verzog das Gesicht.
Plötzlich hatte ich das ungute Gefühl, dass es schon an diesem Abend vorbei sein würde, wenn wir noch lange so weitermachten.
»Lass uns nach Hause gehen und ein Bad zusammen nehmen«, sagte ich. »Ja?«
»Ja.«
»Kann ich über Nacht bleiben?«
»Natürlich. Unbedingt. Und wenn du möchtest …«
Ich legte meine Hand auf seinen Mund. »Schhhh.«
»Laura?«
»Miranda? Hallo.« Im Hintergrund lief Musik, und Tony rief irgendwas. Ich bekam sofort Heimweh nach meiner eigenen Wohnung, in der Kerry und Brendan gerade zu Abend aßen und sich nebenbei ein Video ansahen. Ich hatte zu ihnen gesagt, ich würde mich mit Freunden treffen, was aber nicht stimmte.
Stattdessen saß ich nicht weit von meiner Wohnung entfernt in einem kleinen, schlecht beheizten Café vor meiner zweiten Tasse Kaffee und wünschte, ich hätte mich wärmer angezogen.
»Störe ich?«
»Überhaupt nicht. Wir essen zwar demnächst, aber das ist kein Problem.«
»Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.«
»Schieß los.«
»Es ist ein ziemlich großer Gefallen. Würdet ihr mir Asyl gewähren?«
»Asyl?« Ich hörte ein lautes malmendes Geräusch, als hätte sie sich eine Karotte oder einen Apfel in den Mund geschoben.
»Klar. Heute Nacht, meinst du? Geht’s dir nicht gut?«
»Nein. Doch. Ich meine, es geht mir gut, jedenfalls so einigermaßen. Und es muss nicht unbedingt gleich heute sein, aber vielleicht morgen oder übermorgen. Bloß für ein paar Tage
…«
»Warte mal einen Moment, ich verstehe dich so schlecht, die Musik ist so laut, und außerdem kocht gerade was über.
Moment.« Kurz darauf wurde die Musik leiser gedreht.
»So, bin wieder da.«
Ich holte tief Luft. »Kerry und Brendan kaufen das Haus nun doch nicht. Gott allein weiß, warum, auf jeden Fall werden sie nun noch länger bei mir wohnen, und das ertrage ich einfach nicht.« Ich hörte, wie schrill meine Stimme plötzlich klang. »Ich muss da raus, Laura, oder
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