Der falsche Freund
meine?«
»Nein«, antwortete Nick.
Es fiel mir ja selbst schwer, es zu erklären. Das Ganze war eine richtige Denksportaufgabe. Mir schwirrte schon der Kopf davon.
»Die Sache ist die«, begann ich. »Die meisten Menschen würden den Papierstreifen gar nicht bemerken. Vielleicht fünf Prozent würden ihn bemerken und sich die allergrößte Mühe geben, ihn wieder genau dorthin zu stecken, wo er vorher war, um auf diese Weise zu vertuschen, dass sie die Tür geöffnet haben. Aber nur fünf Prozent von diesen fünf Prozent würden den Streifen ganz bewusst an eine andere Stelle stecken, um zu demonstrieren, dass sie den Trick durchschaut haben. Verstehst du?«
Ich merkte, dass Nicks Aufmerksamkeit nachließ und er langsam ungeduldig wurde, aber ich konnte nicht aufhören.
Irgendwie wollte ich ihn wohl auf die Probe stellen. Wenn man jemanden mag – oder liebt –, dann macht es einem nichts aus, wenn der oder die Betreffende von etwas besessen ist. Es macht einem nicht einmal etwas aus, wenn er oder sie mal langweiliges Zeug erzählt. Vielleicht wollte ich herausfinden, wie geduldig er mir gegenüber sein konnte.
»Brendan spielt mit mir. Er hat den Papierstreifen absichtlich ein Stück höher angebracht, damit ich merke, dass er sich daran zu schaffen gemacht hat. Gleichzeitig wollte er mir damit aber auch zeigen, dass er keineswegs zu vertuschen versuchte, in meinem Zimmer gewesen zu sein.« Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Wein.
»Er wollte mir auf diese Weise eine Nachricht übermitteln.
Mir damit Folgendes sagen: ›Du verdächtigst mich, in deinem Zimmer gewesen zu sein. Ich weiß, dass du mich verdächtigst.
Ich möchte dir hiermit zeigen, dass ich es weiß. Und ich möchte dir zeigen, dass es mir völlig egal ist, ob du es weißt oder nicht.
Außerdem weißt du deswegen noch lange nicht, was ich gemacht habe, als ich in deinem Zimmer war.‹ Da ist noch so eine Sache. Ich hatte in einem Buch fünfundsiebzig Pfund versteckt. Meine geheime Notreserve.«
»Kannst du nicht wie jeder andere Mensch zum Bankautomaten gehen?«, fragte Nick.
»Das hilft einem nicht immer weiter. Manchmal geht diesen Automaten nämlich das Geld aus. Man sollte also irgendwo ein bisschen Bargeld versteckt haben. Egal, jedenfalls hätte jeder normale Dieb das ganze Geld geklaut. Brendan aber hat nur fünfzehn Pfund genommen. Nur um mich zu ärgern. Er versucht, mich in den Wahnsinn zu treiben.«
»Was sollte ihm das bringen?«
»Immerhin hat er sich schon in meiner gottverdammten Wohnung eingenistet, und ich sitze total genervt hier in dieser Bar.«
Nick schwieg eine ganze Weile. Ich kam mir vor wie eine Komikerin, die sich vergeblich bemüht hatte, ihr Publikum zum Lachen zu bringen.
»Ich kann das nicht mehr«, sagte Nick schließlich.
»Wie meinst du das?«, erkundigte ich mich, obwohl ich es genau wusste.
»Darf ich ganz ehrlich zu dir sein?«
»Natürlich.« Wenn jemand so fragte, bedeutete das in der Regel nicht, dass der oder die Betreffende vorhatte, einem etwas besonders Nettes zu sagen.
»Weißt du, was ich glaube?«
»Nein, keine Ahnung.«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es«, fuhr Nick fort. »Du bist immer noch in Brendan verliebt.«
»Was?« Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.
»Du bist richtig besessen von ihm. Du kennst gar kein anderes Thema mehr.«
»Natürlich bin ich besessen von ihm«, erwiderte ich. »Er ist wie ein Wurm, der mich befallen hat. Der nicht aufhört, an mir zu nagen.«
»Ganz genau. Es war wundervoll, Miranda.«
»War«, wiederholte ich dumpf.
Nun trank er endlich auch einen Schluck von seinem Wein.
»Es tut mir Leid«, sagte er.
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, ihm ins Gesicht geschlagen. Ein paar Augenblicke später wollte ich das plötzlich nicht mehr. Ich suchte in meiner Börse herum, fand einen Zwanzig-Pfund-Schein und legte ihn neben mein leeres Glas.
Ein wenig wackelig beugte ich mich zu Nick und küsste ihn.
»Mach’s gut, Nick«, sagte ich. »Es war wirklich der falsche Zeitpunkt.«
Ich drehte mich um und verließ die Bar. Noch einer von diesen überstürzten Abgängen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, bei Nick zu übernachten. Zumindest hatte ich das Laura versprochen. Ein weiteres Versprechen, das ich nicht halten konnte.
17. KAPITEL
Am nächsten Morgen blieb ich ziemlich lange auf Lauras Sofa liegen, bevor ich mich zwang aufzustehen und dem Tag ins Auge zu blicken. Draußen war es windig und noch halb dunkel.
Mich fror, und ich
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