Der falsche Freund
Bill«, antwortete meine Mutter mit einer Spur von Panik in der Stimme.
»Also?«, fragte ich Brendan.
»Du bist zu Harry Vermont und hast mit ihm gesprochen?«
Brendans Ton klang sehr sanft. »Warum, Miranda? Warum hast du nicht erst mit mir darüber geredet?«
Alle sahen mich an. Ich legte beide Hände um die Tischkante.
»Ihr habt niemals zusammengearbeitet«, sagte ich. »Du hast mit ihm kein Geld verloren. Du kennst den Mann kaum.«
»Warum tust du so etwas?« Er schüttelte verwundert den Kopf, wandte sich an die ganze Runde. »Warum?«
»Weil du nicht die Wahrheit gesagt hast«, erklärte ich. Ein Gefühl von Übelkeit stieg in mir hoch. Ich spürte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach.
»Wenn du mich vorher gefragt hättest, dann hätte ich es dir erklärt, Miranda.«
»Harry Vermont hat gesagt …«
»Harry Vermont hat alle im Stich gelassen, mit denen er zusammengearbeitet hat«, fiel mir Brendan ins Wort. Er lehnte sich ein wenig zurück, wandte sich wieder an die ganze Runde.
»Er wollte die Lorbeeren, aber nicht die Verantwortung.
Trotzdem habe ich ihm verziehen. Er war mein Freund.«
»Er hat gesagt …«
»Miranda!«, zischte meine Mutter, als könnten die anderen nicht sowieso jedes Wort hören. »Jetzt reicht es aber!«
»Ich wollte herausfinden …«
»Es reicht, habe ich gesagt!« Sie schlug mit der Hand so fest auf die Tischplatte, dass das Besteck klirrte. »Schluss damit!
Lasst uns Kaffee trinken.«
Judy wandte sich an Bill und nickte ihm zu. Die beiden erhoben sich und verließen den Raum. In der Küche ließ jemand ein Glas fallen.
Ich überlegte, ob ich aufstehen und gehen sollte, aber ich saß zwischen Tisch und Wand eingezwängt, und Troy hätte aufstehen müssen, um mich hinauszulassen. Stattdessen ergriff ich noch einmal das Wort: »Du hast uns angelogen.«
Ich wandte mich an die anderen. »Er hat uns angelogen«, wiederholte ich.
Brendan schüttelte den Kopf.
»Ich habe euch vielleicht nicht die ganze hässliche Geschichte erzählt, weil er mein Freund war und mir Leid tat. Ich wollte ihn nicht bloßstellen. Aber ich habe euch nicht angelogen. Nein, Miranda.« Er schwieg einen Moment und lächelte mich an.
»Was das betrifft, solltest du nicht von dir auf andere schließen.
Nicht jeder ist so skrupellos wie du.«
Draußen in der Diele hörte ich die Standuhr ticken.
Durch die Terrassentür sah ich die kahlen Äste der großen Rotbuche im Wind schwanken.
»Ich muss gerade daran denken, wie du damals Kerry hintergangen hast«, fügte er hinzu.
»Hört auf«, sagte Troy. »Ich mag das nicht. Bitte, hört auf.«
»Was?«, fragte Kerry im selben Moment in scharfem, angsterfülltem Ton. »Was meinst du damit?«
»Aber ich bin sicher, dass Kerry dir verziehen hat. Sie ist ja zum Glück nicht nachtragend. Hmm?«
»Wovon redest du überhaupt, Brendan? Nun sag schon!«
Ich sah die Angst in Kerrys Gesicht.
»Du warst ja schließlich erst siebzehn«, fuhr Brendan fort, immer noch an mich gewandt.
»Brendan, es tut mir Leid, wenn ich …«
»Und wie alt warst du, Kerry? Neunzehn, nehme ich an.«
»Wie alt war ich wann?«
»Du weißt schon, damals, als Miranda dir deinen Freund ausgespannt hat. Wie hieß er noch mal? Mike, oder?«
Um uns herum war es plötzlich totenstill.
Brendan schlug die Hand vor den Mund.
»Sag bloß, du hast das nicht gewusst! Miranda hat es dir nie gesagt? Ich hatte ja keine Ahnung! Mir hat sie es ganz beiläufig erzählt, als wir uns gerade mal ein paar Tage kannten, und deswegen dachte ich … deswegen bin ich einfach davon ausgegangen, dass ihr das alle wisst, ihr seid schließlich eine Familie, und da weiß man ja normalerweise …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
Ich öffnete den Mund, um richtig zu stellen, dass ich es ihm keineswegs erzählt hatte, sondern dass er es in einem Tagebuch gelesen hatte, das ihn überhaupt nichts anging, ließ es dann aber sein. Wen interessierte jetzt noch, wie er davon erfahren hatte?
Tatsache war, dass es stimmte.
»Kerry«, sagte ich schließlich. »Lass uns das nicht hier besprechen. Können wir irgendwo in Ruhe darüber reden?«
Sie starrte mich an. »Verstehe«, sagte sie. »Und jetzt versuchst du es wieder.«
18. KAPITEL
Obwohl Judy mich an der Tür zurückhalten wollte, stürmte ich aus dem Haus, stieg in mein Auto und fuhr bis ans Ende der Straße, wo ich an einer Bushaltestelle anhielt. Mich fröstelte, aber zugleich schwitzte ich, und meine Hände zitterten so sehr, dass ich kaum
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