Der falsche Freund
war müde. Mein Haar musste dringend gewaschen werden, und meine Zunge fühlte sich an, als wäre sie zu dick für meinen Mund. Ich war seit Tagen nicht mehr gejoggt, meine Beine kamen mir schon ganz steif und eingerostet vor. Während ich mit geschlossenen Augen dalag und dem Gemurmel lauschte, das aus Lauras Schlafzimmer drang, hatte ich das Gefühl, einen Hang hinunterzurutschen, ohne Halt zu finden. Alles, was ich zu fassen bekam, entglitt mir sofort wieder.
Ich dachte an den vor mir liegenden Tag. Ich musste wieder in das blöde Haus in Hampstead und eine rote Wand grün streichen. In meiner Mittagspause sollte ich Kerry im Reisebüro abholen und mit ihr eine weitere überteuerte Wohnung besichtigen. Abends würde ich so spät wie möglich hierher zurückkommen, um Laura und Tony ja nicht mit meiner ständigen Gegenwart auf die Nerven zu gehen.
Ich traf ein bisschen zu früh im Journey’s End ein, dem Reisebüro, in dem Kerry arbeitete. Froh, das stürmische Wetter hinter mir lassen zu können, drückte ich die Tür auf. Am ersten Schreibtisch versuchte Kerrys Chef Malcolm gerade einen übergewichtigen Mann im Anzug davon zu überzeugen, dass es unbedenklich sei, nach Ägypten zu reisen. Ein paar andere Kunden standen vor dem Regal mit den Prospekten und betrachteten Bilder von Sonne und Meer und lachenden jungen Menschen mit strahlend weißen Zähnen und blondem Haar.
Kerry sprach am anderen Ende des Raums mit einem Mann, der einen langen Mantel trug. Obwohl er mir den Rücken zuwandte, erkannte ich ihn auf den zweiten Blick als Brendan und blieb ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen.
»Ich habe mein Konto doch schon überzogen«, sagte Kerry gerade in flehendem Tonfall.
»Vierzig Pfund müssten mir eigentlich reichen.«
»Aber …«
»Kerry.« Er sprach leise, aber sehr eindringlich. Ich bekam allein schon vom Zuhören eine Gänsehaut. »Gönnst du es mir etwa nicht? Nach allem, was ich für dich und deine Familie getan habe?«
»Du weißt genau, wie dankbar ich dir dafür bin«, antwortete sie und begann gleichzeitig, ein paar Geldscheine aus ihrer Börse zu fischen.
»Tatsächlich? Dann frage ich mich, warum du so knausrig bist, Kerry. Ich bin wirklich sehr erstaunt. Enttäuscht.«
»Sag doch so was nicht, Bren. Hier. Mehr habe ich im Moment nicht.«
»Wie kann ich es jetzt noch annehmen?«
»Bitte, Bren. Nimm es.« Kerry hielt ihm eine Hand voll Scheine hin und schaute gleichzeitig auf, sodass sie mich entdeckte. Die Röte schoss ihr in die Wangen, und sie sah sofort wieder weg, richtete den Blick auf Brendan.
»Ich muss sagen, dass du heute ein bisschen farblos aussiehst«, erklärte er, während er das Geld entgegennahm und in seine Tasche stopfte. »Hmm?«
Ich sah Kerry zusammenzucken, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst. Sie hielt eine Hand vor ihr Gesicht, als wollte sie sich dahinter verstecken.
»Der Mantel steht dir ausgezeichnet«, sagte ich eine Dreiviertelstunde später zu meiner Schwester. Kerry und ich saßen inzwischen in einem schäbigen kleinen Café in Finsbury Park.
»Findest du?« Sie fingerte unsicher an ihrem Kragen herum.
»Macht er mich nicht ein bisschen blass?«
»Es ist November. Wir sind alle ein bisschen blass. Du siehst großartig aus.« Ich sagte das betont fröhlich, als säße ich an ihrem Krankenbett, bemüht, sie davon zu überzeugen, dass sie sich auf dem Weg der Besserung befand.
»Danke«, antwortete sie so kleinlaut, dass ich sie am liebsten geschüttelt hätte.
»Außerdem dauert es nicht mehr lang, dann bist du auf Hochzeitsreise und lässt dir die Sonne auf den Pelz brennen –
wohin fliegt ihr noch mal? Auf die Fidschis?«
»Ja.« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Phantastisch.«
Wir schwiegen einen Moment. Ich griff nach meiner leeren Kaffeetasse und tat, als hätte ich noch einen Rest zu trinken.
»Hat Brendan sich schon entschieden, was er machen möchte?«, fragte ich dann.
»Du meinst, beruflich?«
»Ja.«
»Er will sich zuerst um Troy kümmern.«
»Das halte ich für gar keine gute Idee.«
»Ich weiß auch nicht so recht.« Sie klang teilnahmslos.
»Sogar Troy selbst sagt, dass er mehr in Ruhe gelassen werden möchte«, fuhr ich fort. »Deswegen ist er ja von zu Hause ausgezogen.«
»Ich weiß.« Sie biss sich nervös auf die Unterlippe. »Mehr oder weniger dasselbe habe ich auch Brendan gesagt.«
»Ist mit euch beiden alles in Ordnung?«
»Natürlich«, antwortete sie kurz angebunden. »Wieso auch
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