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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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nicht?«
    »Jedenfalls könnte er langsam mal anfangen, mehr an euch beide zu denken. Dort sollten seine Prioritäten liegen. Was hat er denn vorher gemacht?«
    »Na ja«, erwiderte Kerry, »viele verschiedene Sachen.«
    Sie kaute einen Moment auf der Ecke eines Fingernagels herum. »Er hat eine Weile Psychologie studiert und dann irgendeinen Job gemacht, der damit zu tun hatte, ihm auf Dauer aber nicht gefiel. Er ist einfach zu sehr Einzelgänger. Dann war er an verschiedenen Geschäftsprojekten beteiligt. Du kennst ihn ja, er geht gern Risiken ein. Und natürlich ist er viel gereist.«
    »Natürlich. Verstehe.«
    Ich versuchte mich an Einzelheiten zu erinnern, die er erzählt hatte. Plötzlich tauchte aus den Tiefen meines Gedächtnisses ein Name auf, den er bei dem Grillfest im Garten meiner Eltern erwähnt hatte. Vermont. Genau. Harry Vermont und die Dotcom-Firma. Nachdem Kerry gegangen war, nahm ich mein Handy und rief bei der Auskunft an.

    Am nächsten Morgen um halb neun saß ich in einem großen, warmen Büro mit riesigen Fenstern, durch die man einen schönen Blick auf die Themse gehabt hätte, wenn sie auf die andere Seite des Gebäudes hinausgegangen wären. So aber sah man nur einen Block mit Sozialwohnungen, von denen die meisten mit großen Metallplatten zugenagelt waren. Harry Vermont bot mir einen Kaffee an, aber wir waren beide in Eile –
    und wie sich herausstellte, dauerte unsere Unterhaltung auch gar nicht lang. Ich erklärte ihm, dass ich eine Bekannte von Brendan Block sei.
    »Ach ja?«
    »Sie und Brendan haben doch irgendwann mal eine Dotcom-Firma gegründet, oder?«

    »Was?«
    »Ich wollte etwas über Ihr gemeinsames Projekt erfahren.«
    »Über unser gemeinsames Projekt?«, fragte er in sarkastischem Ton.
    »Gibt es da ein Problem?«, fragte ich. »Können Sie darüber reden?«
    »O ja«, sagte er. »Das kann ich.«

    »Hast du viel Geld verloren, als eure Dotcom-Firma zusammenbrach?«, fragte ich fröhlich, ehe ich mir ein Stück bröckeligen Stilton in den Mund schob. Es war Bills Geburtstag, und er hatte uns alle zu sich nach Hause zum Mittagessen eingeladen. Draußen war es neblig und kalt, aber drinnen brannte ein loderndes Feuer im Ofen. Judy und Bill kochen sehr gut, viel besser als meine Eltern, und sie hatten uns mit einem Wildbraten und viel Rotwein bewirtet. Inzwischen waren wir bei Käse und Kräckern angelangt. Kerry saß am anderen Ende des Tisches und versuchte, Sasha zu überreden, ihre Brautjungfer zu machen. Aber Sasha, die mit ihren zwölf Jahren wie einundzwanzig aussieht und nur extreme Schlaghosen und Kapuzenshirts trägt, erklärte gerade, dass sie für niemanden auf der Welt ein pfirsichfarbenes Satinkleid anziehen würde. Dad und Bill aber hörten mir zu. Troy saß Brendan gegenüber. Es war schwer zu sagen, ob er dem Gespräch folgte oder nicht, da er gerade eine seiner lethargischen Phasen hatte.
    »Auf jeden Fall zu viel«, antwortete Brendan und lachte wehmütig, ganz Mann von Welt.
    »Und die anderen?«, fragte ich. Nachdem ich mein Glas geleert hatte, sprach ich so laut weiter, dass Kerry und Judy zu uns herübersahen. »Haben alle Geld verloren? Auch dieser Harry, von dem du uns damals erzählt hast? Wie war noch mal sein Name?«

    Brendan sah mich verwirrt an.
    »Hieß er nicht Vermont?«, fragte ich.
    »Wie um alles in der Welt konntest du dir das merken?«
    Meine Mutter lachte, erfreut darüber, dass ich so viel Interesse zeigte und freundlich zu Brendan war.
    »Mitch und Sasha, räumt doch bitte die Teller in die Küche«, sagte Judy. Die beiden erhoben sich murrend.
    »Ich weiß noch, dass ich damals dachte: Vermont wie in Neuengland«, antwortete ich.
    Bill schenkte mir nach, und ich nahm einen großen Schluck.
    Mitch griff nach meinem Käseteller und ließ dabei das butterverschmierte Messer in meinen Schoß fallen.
    »Der arme alte Harry«, meinte Brendan. »Er war völlig am Ende.«
    »Was macht er denn jetzt? Bist du noch mit ihm in Kontakt?«
    »Man kann seine Freunde doch nicht einfach fallen lassen, bloß weil sie eine schlechte Phase durchmachen«, erwiderte er salbungsvoll.
    »Ich habe mit ihm gesprochen«, erklärte ich.
    »Was?«
    »Er hat gesagt, er habe dich irgendwann mal kennen gelernt, aber ihr hättet nie zusammengearbeitet, und er sei auch nie in der Verpackungsbranche tätig gewesen. Außerdem hast du den Job damals sowieso nicht bekommen.«
    Ich nahm einen großen Schluck Wein.
    »Kaffee?«, fragte Bill.
    »Das wäre wunderbar,

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