Der falsche Freund
in ein paar Stunden abholen. Ich nahm ihn fest in den Arm.
»Ich werde dich ganz bald besuchen«, versprach ich. »In ein, zwei Tagen.«
In Wirklichkeit verging kaum eine Stunde, in der mir nicht etwas einfiel, das ich vergessen hatte. Ich lief ständig mit Papier und Stift herum, um mir die fehlenden Sachen gleich zu notieren. Ich konnte mir schließlich nicht alles neu kaufen. Die Liste wurde immer länger: T-Shirts. Nagelschere. Haarspülung.
Wollmütze. Scheckbuch. Straßenkarte. Irgendwie kam mir das Ganze total lächerlich vor. Am nächsten Tag begab ich mich nach der Arbeit mit meiner Liste in die Wohnung. Brendan und Troy spielten im Wohnzimmer Karten. Sie musterten mich ziemlich erstaunt. Brendan sagte etwas, aber ich konnte ihn wegen der lauten Musik nicht verstehen. Ich drehte sie leiser.
»Jetzt kann man fast nichts mehr hören«, beschwerte sich Troy. »Da muss man ja ein Stethoskop an die Box halten.«
»Ich hole bloß schnell ein paar Sachen«, erklärte ich.
»Schon gut«, antwortete Brendan. »Nur zu.«
Allein schon die Tatsache, dass Brendan so gnädig sein Einverständnis gab, obwohl es sich um meine eigene Wohnung handelte, weckte in mir den Wunsch, ihm einen Topf kochendes Wasser über den Kopf zu schütten. Einen Moment lang war ich sprachlos vor Wut, aber dann sagte ich doch etwas.
»Wie geht es dir, Troy?«
»Recht gut, oder?«, antwortete Brendan. Troy lächelte mich an und hob die Augenbrauen.
Ich ging in mein Zimmer. Wie erwartet, war es vorübergehend von Troy in Besitz genommen worden, und schon nach einem einzigen Tag sah es dort so aus, wie es in seinem Zimmer immer aussah: Das Bett war nicht gemacht, auf dem Boden lagen Klamotten und aufgeschlagene Bücher herum und ein ganz eigener, leicht schweißiger Geruch hing in der Luft. So schnell ich konnte, warf ich ein paar Sachen in die Plastiktüte, die ich zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann griff ich nach dem Buch, in dem ich das Geld versteckt hatte. Ich zählte es. Sechzig Pfund. Plötzlich hatte ich eine Gänsehaut. Ich zählte noch einmal. Sechzig. Hätte er nicht einfach alles nehmen können?
Was für ein Spiel spielte er mit mir? Ich steckte den Rest des Geldes in meine Börse und ging wieder ins Wohnzimmer.
»Ich hatte in meinem Zimmer ein bisschen Geld«, sagte ich.
Brendan drehte sich mit fröhlicher Miene zu mir um.
»Ja?«
»Ein Teil fehlt. Hat sich vielleicht jemand von euch was davon geborgt?«
»Nicht schuldig«, meinte Brendan achselzuckend. »Wo war es denn?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Vielleicht ist es irgendwo runtergerutscht.«
»Egal«, sagte ich. »Meine Tampons kann ich auch nicht finden.«
»Vielleicht hat Kerry sie sich ausgeliehen«, antwortete Brendan. »Sie hat gerade ihre Tage.«
»Ausgeliehen?«
»Ja«, sagte Brendan. »Im Moment gibt’s nur Analsex.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Hatte ich mich vielleicht verhört? Ich spürte, wie mir der saure, scharfe Geschmack von Galle aufstieß.
»Bitte?«
»War bloß ein Witz.« Brendan grinste Troy an, dessen Miene zu einer Maske erstarrt war. »Miranda mag es, wenn ich sie necke. Zumindest glaube ich das. Du bist dran.«
Nachdem ich im Geist alles noch einmal durchgegangen war, versuchte ich es Nick zu erklären. Ich erzählte ihm, wie ich den Streifen in die Tür gesteckt und bei meiner Rückkehr an einer anderen Stelle vorgefunden hatte. Wir saßen in einem Weinlokal an der Tottenham Court Road, ein paar hundert Meter von seiner Wohnung entfernt.
»Ich hatte mir das nicht so kompliziert vorgestellt«, erklärte ich. »Du kennst das doch bestimmt aus irgendwelchen Filmen.
Da stecken sie auch immer so einen Papierstreifen in die Tür, und wenn sie ihn dann am Boden finden, wissen sie, dass jemand im Zimmer war.«
»Ja«, antwortete Nick. »Zum Beispiel in Der Clou. Robert Redford hat es gemacht, weil die Gangster hinter ihm her waren.«
»Wirklich?«, fragte ich. »Ich glaube, ich habe den Film vor Jahren im Fernsehen gesehen. An diese Stelle kann ich mich gar nicht erinnern, aber ich habe sowieso ein fürchterliches Gedächtnis, was Filme betrifft. Ich kann mir die Einzelheiten einfach nicht merken.« Ich nahm einen Schluck von meinem Wein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, viel mehr zu trinken als Nick. Er saß ganz ruhig und nüchtern da, während ich redete und trank. »Der schwierige Teil war für mich, dass der Papierstreifen so demonstrativ an einer anderen Stelle platziert war. Verstehst du, was ich
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