Der falsche Freund
in der Lage war, den Motor abzustellen. Ich hatte einen ekelerregenden Geschmack im Mund, eine Mischung aus Wildbraten, Schimmelkäse, Rotwein und Angst. Einen Moment lang befürchtete ich, mich übergeben zu müssen. Ich blieb eine Weile sitzen und starrte einfach geradeaus, ohne richtig wahrzunehmen, wie der Verkehr an mir vorüberströmte, während es langsam düster zu werden begann, als würde die Farbe aus allem entweichen und die Welt in tristem Grau zurücklassen.
Hinter mir ertönte lautes Hupen, und als ich in den Rückspiegel blickte, sah ich, dass ein Bus wartete. Rasch ließ ich den Wagen an und ordnete mich wieder in den Verkehr ein, auch wenn ich keine Ahnung hatte, mit welchem Ziel. Eine Weile fuhr ich in Richtung meiner Wohnung, aber das war der letzte Platz auf der Welt, wohin ich mich jetzt flüchten konnte.
Ich hatte mein Zuhause immer geliebt, es war mein Hafen gewesen. Das war nun vorbei.
Natürlich konnte ich zurück zu Laura, aber ich sehnte mich verzweifelt danach, allein zu sein, weswegen ich immer weiter stadtauswärts fuhr, vorbei an Läden, die alte Kühlschränke verkauften, Mobiltelefone, Gaststättenbedarf, billige Videos, Gartenzwerge, Bodenfliesen, Windspiele … Die Straßen machten einen immer tristeren Eindruck, die Brücken, unter denen ich hindurchfuhr, waren mit Graffiti bedeckt, die kleinen Cafés, an denen ich vorbeikam, wirkten heruntergekommen, die Metzgereien, die immer noch geöffnet hatten und in deren Schaufenstern riesige Fleischstücke baumelten, alles andere als einladend. An einer Ampel klopfte ein junger Mann im Kampfanzug an mein Fenster und forderte mich auf, ihm mein Geld zu geben. Nachdem ich eine Überführung und mehrere große Kreuzungen hinter mir gelassen hatte, sah die Gegend wieder ansehnlicher aus. An die Stelle der Reihenhäuser traten einzelne, von Gärten umgebene Häuser. Überall gingen die Lichter an. Straßenlampen erhellten die Dämmerung.
Schließlich wurde es ländlich. Große, fast kahle Bäume säumten die Straße, zu beiden Seiten erstreckten sich Felder, zwischen denen sich ein Fluss hindurchschlängelte.
Ich bog aufs Geratewohl nach links in eine kleine Straße ein, dann noch einmal nach links in eine noch kleinere, wo ich schließlich neben einem Feld anhielt, auf dem ein Stück entfernt ein paar Kühe standen. In einer Stunde etwa würde es dunkel sein, und als ich die Tür öffnete, spürte ich die beißende Kälte.
Ich war nicht für draußen gekleidet, trug auch nicht die richtigen Schuhe, aber das war mir egal. Froh über den schneidenden Wind, der mir die Haare ins Gesicht peitschte, ging ich die Straße entlang. Ein paar Minuten lang marschierte ich so schnell dahin, dass meine Waden zu schmerzen begannen. Erst dann ließ ich meinen Gedanken freien Lauf.
Mit neunzehn war Kerry sehr hübsch, aber da sie selbst nicht dieser Meinung war und meist den Kopf einzog, fiel sie den Leuten kaum auf. Zumindest den meisten Jungen. Michael war nicht ihr erster Freund, aber der Erste, in den sie sich richtig verliebte, und vielleicht auch der Erste, mit dem sie Sex hatte.
Sie erzählte es mir nicht, und ich fragte sie auch nie danach.
Anfangs, weil ich auf den passenden Moment wartete, und später, weil mir bewusst war, dass dieser Moment nie kommen würde. Es war in den letzten Sommerferien, bevor sie mit dem Studium begann. Sie hatte einen Ferienjob in unserem Stammcafé, wo sie Geschirr spülte und den Gästen Kaffee und Kuchen servierte. Er war zwei oder drei Jahre älter als sie und studierte in Hull Hoch- und Tiefbau, verbrachte aber die Ferien zu Hause und sah Kerry ein paarmal im Café. Eines Tages beugte er sich über den Tresen, bestellte eine Tasse Tee und fragte sie bei der Gelegenheit, ob sie Lust hätte, abends mit ihm etwas trinken zu gehen.
Vielleicht lag es daran, dass er nichts über sie wusste und nicht zu der Welt gehörte, in der sie immer nur am Rand stand.
Vielleicht war sie einfach auch bereit dafür. Auf jeden Fall wirkte sie ziemlich begeistert von ihm, und gleichzeitig war sie stolz auf sich selbst, weil er älter war als sie und wenn auch nicht wirklich gut aussehend, so doch sehr extrovertiert und ein großer Charmeur. An seiner Seite fühlte sie sich sicherer und attraktiver als je zuvor. Sie blühte sichtlich auf … ähnlich, wie sie mit Brendan aufgeblüht war, dachte ich, während ich in der hereinbrechenden Dunkelheit die Straße entlangging.
Und dann … ich hatte zu viele Jahre versucht, nicht
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