Der falsche Freund
anzulächeln, meinen Schwager, der dann richtig zur Familie gehörte. Ich schob den Teller mit dem restlichen Toast weg. Mir war der Appetit vergangen.
Vielleicht sollte ich einfach nein sagen. Nein, Brendan, ich mache nicht deine gottverdammte Trauzeugin. Ich spiele dein Spiel nicht mehr mit. Nie wieder. Vielleicht sollte ich einfach ganz von der Hochzeit wegbleiben. Ohne mich wären sie sowieso besser dran. Aber natürlich musste ich hin, denn wenn ich es nicht täte, würden sie das nur als weitere hysterische Geste meinerseits auslegen: die verrückte, besessene, liebeskranke, hasserfüllte Miranda, der böse Geist des Festes.
Ich musste hin, weil Kerry außer mir keine Geschwister mehr hatte.
Seufzend stand ich auf und ging zum Telefon.
»Hallo?«
»Mum. Ich bin’s.«
»Miranda.« Ich hatte mich bereits an den ausdruckslosen Ton gewöhnt, mit dem sie seit Troys Tod sprach.
»Hallo. Entschuldige, dass ich so früh anrufe. Ich wollte eigentlich nur schnell mit Kerry sprechen. Sie möchte mich als Trauzeugin.«
»Ja, das hat sie mir erzählt.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich finde, das ist eine sehr großzügige Geste von ihr.«
»Ja. Kann ich mit ihr sprechen?«
»Ich werde sie holen. Obwohl ich dich vorher eigentlich gleich fragen könnte … Wir, Derek und ich, dachten, wir sollten uns vor Freitag alle noch mal treffen. An dem Tag selbst wird es keine Feier geben, das erschien uns nicht richtig. Außerdem werden sie ja sowieso gleich im Anschluss in ihre Flitterwochen aufbrechen. Wir haben an einen kleinen Umtrunk gedacht, nur im engsten Familienkreis, um ihnen Glück zu wünschen. Wir sind der Meinung, dass das wichtig für die beiden ist. Bill und Judy haben schon zugesagt. Hast du morgen Zeit?«
Es war nicht wirklich als Frage gemeint.
»Ja.«
»Gegen sieben. Und jetzt hole ich Kerry.«
Ich sagte meiner Schwester, dass ich ihre Trauzeugin machen würde, worauf Kerry in freundlichem, aber kühlem Ton antwortete, dass sie sich freue. Ich fügte hinzu, dass wir uns dann ja morgen sehen würden, und sie sagte »gut«. Es klang wie ein verbales Achselzucken. Plötzlich tauchte vor meinem geistigen Auge ein Bild auf, das wie ein Sonnenstrahl durch all die Tristesse schnitt: Kerry und ich, umspült von den Wellen an der Küste Cornwalls. Wir saßen beide in großen Gummireifen und ließen uns immer wieder von der Brandung an den Strand werfen, bis wir vor Erschöpfung und Kälte ganz außer Atem waren. Wir müssen zu der Zeit etwa zehn und acht gewesen sein. Ich sehe uns noch genau vor mir, wie wir zusammen lachten und dann ausgelassen kreischten, wenn wieder eine besonders große Welle herandonnerte. Kerry trug ihr Haar damals zu ordentlichen Zöpfen geflochten. Sie hatte als Mädchen ein schüchternes Lächeln, bei dem auf ihren Wangen kleine Grübchen erschienen. Eigentlich lächelte sie immer noch so, dachte ich.
»Ich denke an dich«, stieß ich hervor und wäre dabei am liebsten heulend auf die Knie gefallen.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
»Kerry?«
»Danke«, sagte sie, und dann, nach einer kurzen Pause:
»Miranda?«
»Ja?«
»Ach, nichts. Wir sehen uns morgen.«
Sie legte auf.
Ich fuhr durch den Nebel zur Arbeit. Häuser und Autos tauchten wie aus dem Nichts vor mir auf, Fußgänger huschten schemenhaft vorüber. Die Bäume am Straßenrand wirkten wie traurige Gespenster. Es war einer jener Tage, an denen es nie so richtig hell wurde und man ständig ein klammes Gefühl hatte, als würde die Feuchtigkeit wie eine eisige zweite Haut an einem kleben.
Das Haus in Tottenham war still und kalt. Meine Schritte hallten auf den Bodendielen, und der Klang des Hammers echote durch den Raum. Ich machte mir viele Tassen bitteren Instantkaffee, nur um meine Hände an einer der fleckigen, abgeschlagenen großen Tassen wärmen zu können, die die Besitzer für uns zurückgelassen hatten. Trotzdem war ich froh zu arbeiten, denn was hätte ich sonst gemacht? Bestimmt keine Weihnachtseinkäufe. Ich konnte mich auch nicht zu meiner Mutter in die Küche setzen und zusehen, wie sie Teigscheiben in Förmchen drückte und dann mit Hackfleisch füllte. Ich konnte nicht mehr mit Laura plaudern, nicht mehr über eine von Troys skurrilen Bemerkungen lachen. Das alles war vorbei. Stattdessen arbeitete ich, bis meine Hände wund waren, und fuhr dann nach Hause, wo ich mich im Wohnzimmer unter den Balken setzte.
Jenen Balken. In dem Moment wünschte ich, die Zimmerdecke
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