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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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würde mit ihrem ganzen Gewicht herunterstürzen und mich unter sich begraben.
    Nachdem ich etwa eine Stunde so dagesessen und gelauscht hatte, wie draußen der Regen von den kahlen Ästen tröpfelte, griff ich nach dem Hörer, weil ich das Gefühl hatte, unbedingt mit jemandem reden zu müssen. Ich tippte die ersten paar Zahlen von Lauras Nummer, hielt dann aber abrupt inne. Ich konnte nicht mit ihr reden. Was sollte ich sagen? Hilf mir? Bitte hilf mir, ich habe das Gefühl, wirklich wahnsinnig zu werden?
    Ich hatte mich immer an Laura gewandt, wenn es mir schlecht ging, aber nun war sie für mich wie eine verschlossene Tür.
    Wenn ich daran dachte, was alles passiert war, wurde mir schlecht. Der Gedanke an die Zukunft verursachte mir ein Gefühl von Schwindel – als würde sich vor mir ein Abgrund auftun.
    Gegen acht ging ich schließlich ins Bett, weil ich nichts mit mir anzufangen wusste. Ein altes T-Shirt von Troy ans Gesicht gepresst, lag ich da und wartete darauf, dass es Morgen werden würde. Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, denn als ich wieder aufwachte, dämmerte es bereits. In den Lichtkegeln der Straßenlampen sah ich, dass Eisregen fiel.
    Abends stand ich pünktlich um sieben bei meinen Eltern vor der Tür. Kerry machte mir auf. Sie trug ein hauchdünnes pinkfarbenes, am Ausschnitt mit kleinen Perlen besetztes Oberteil, das ihr Gesicht blass und kränklich aussehen ließ. Ich küsste sie auf die Wange und trat mit ihr ins Haus.
    Die Bauarbeiten waren vorübergehend eingestellt worden. Das klaffende Loch in der Küchenwand war notdürftig mit Brettern zugenagelt, und über dem Seitenfenster bauschte sich eine dicke Polyäthylenfolie. Die Töpfe und Pfannen aus den alten Küchenschränken stapelten sich auf dem Linoleumboden. Die Mikrowelle thronte auf dem Küchentisch. Im Wohnzimmer war der Teppichboden herausgerissen worden, und dort, wo sich vorher das Bücherregal befunden hatte, stand jetzt ein auf Böcke gestellter Tisch mit allerlei Werkzeug. Alles war in dem Moment zum Stillstand gekommen, als Troy von meinem Balken hängend gefunden worden war.
    Bill und Judy saßen bereits mit meinen Eltern um das Kaminfeuer herum, das Dad entfacht hatte. Nur Brendan war noch nicht da.
    »Er hat einen Termin, wegen irgendeiner Idee«, erklärte Kerry vage.
    Als ich meine vom Schicksal gebeutelte Familie so betrachtete, fiel mir auf, dass alle Gewicht verloren hatten. Nur Brendan nicht. Als er ein paar Minuten später eintraf, fiel mir auf, dass er sogar zugenommen hatte. Seine Wangen waren voller, sein fliederfarbenes Hemd spannte über seinem Bauch.
    Sein Haar wirkte schwärzer als sonst. Als sich unsere Blicke trafen, neigte er leicht den Kopf und lächelte dabei wie … ja, wie eigentlich? Ein Sieger? Vielleicht wollte er mir auf diese gnädige Art noch einmal kundtun, dass er auf der ganzen Linie gewonnen hatte.

    Sein Verhalten gegenüber den anderen war längst nicht mehr so schmeichlerisch wie früher, eher schon eine Spur arrogant.
    Als er zu Kerry sagte, dass er einen starken Drink brauche, klang er fast machohaft, und als er meinen Vater wegen des ziemlich mickrigen Feuers aufzog, hatte seine Stimme einen verächtlichen Unterton. Bill sah mit gerunzelter Stirn zu ihm hoch, sagte aber nichts.
    Unter anderen Umständen hätten wir Champagner getrunken, aber so holte mein Vater nur eine Flasche Rotwein und für Brendan Whisky.
    »Was wirst du denn morgen anziehen?«, wandte ich mich an Kerry.
    »Oh.« Sie wurde rot und warf Brendan einen schnellen Blick zu. »Ich hatte eigentlich vor, mein neues rotes Kleid anzuziehen.«
    »Klingt gut«, sagte ich.
    »Ich bin aber nicht sicher, ob es mir wirklich steht.« Wieder warf sie Brendan, der sich gerade sein zweites Glas Whisky einschenkte, einen nervösen Blick zu. »Ich weiß nicht, ob ich der Typ bin, der so was tragen kann.«
    »Du kannst morgen tragen, was du willst«, erwiderte ich.
    »Es ist schließlich dein Hochzeitstag. Komm, zeig es mir.«
    Wir gingen zusammen hinauf in ihr Zimmer. Das letzte Mal war ich in diesem Raum gewesen, als ich unter der Kornmode den Strick gefunden hatte. Ich schob den Gedanken rasch beiseite und wandte mich zu Kerry. Sie griff in eine große Einkaufstüte, befreite das Kleid aus seiner Seidenpapierhülle.
    »Wundervoll«, sagte ich. »Zieh es mal an.« Meine ganze Wut auf Kerry war verraucht, ich empfand für sie nur noch bedingungslose Liebe.
    Sie schälte sich aus ihrer Hose, streifte das pinkfarbene Oberteil

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