Der falsche Freund
Nun ist mir alles klar. Du findest, dass er charmant ist? Ein netter Typ? Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen, mit ihm über mich zu sprechen? Was hast du ihm erzählt? Hast du ihm irgendwas von dem erzählt, was ich zu dir über ihn gesagt habe?«
»Miranda, hör auf! Ich bin’s, Laura, deine beste Freundin!«
Ich hielt inne und musterte sie. Sie wirkte an diesem Tag sehr hübsch, aber ein bisschen nervös. Verlegen zog sie an ihrer Zigarette und wich dabei meinem Blick aus.
»Du magst ihn, stimmt’s?«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Er ist ein ganz normaler, netter Typ«, antwortete sie.
»Er macht sich Sorgen um dich.«
»Das reicht«, erwiderte ich. Während ich in meiner Tasche nach Geld wühlte, hatte ich das vage Gefühl, das alles schon mal erlebt zu haben. Schließlich fand ich eine Zehn-Pfund-Note und warf sie auf den Tisch. »Da. Ich melde mich. Tut mir Leid, aber ich kann unter diesen Umständen nicht weiter mit dir reden. So nicht.«
Ich ließ Laura einfach sitzen. Draußen auf dem Gehsteig sah ich mich benommen um. Ich war selbst erstaunt über das, was ich getan hatte. Wie sollte es nun weitergehen? Die feuchte Kälte kroch mir in die Glieder. Gut so. Ich marschierte einfach los, obwohl ich keine Ahnung hatte, wo ich eigentlich hinwollte.
26. KAPITEL
Es waren noch sechzehn Tage bis Weihnachten und vier bis zur Trauung von Kerry und Brendan. Sie würden auf dem Standesamt heiraten, das nur knapp einen Kilometer vom Haus meiner Eltern entfernt lag. Es war nach wie vor kalt, wurde aber zusehends grauer, feuchter und nebliger. Als ich am Morgen aufwachte, hörte ich Regen gegen die Scheiben prasseln. Ich konnte mich nicht aufraffen, mein warmes Bett zu verlassen.
Mir ging durch den Kopf, dass ich heute in dem leeren und ungeheizten Haus in Tottenham mit halb erstarrten Händen Nägel in Bodendielen hämmern würde, und bei der Vorstellung kuschelte ich mich gleich noch ein Stück tiefer unter meine Bettdecke.
Ich hörte, wie die Post durch den Briefschlitz geschoben wurde und auf dem Boden landete. Knapp zwei Wochen noch, dann würden die Tage wieder länger werden. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, dass es jenseits dieser dunklen Monate einen neuen Frühling geben würde.
An den Rändern der Vorhänge zeigte sich bereits ein wenig Tageslicht. Ich zwang mich aufzustehen. Nachdem ich in meine Hausschuhe und meinen Bademantel geschlüpft war, sammelte ich die auf der Fußmatte liegenden Briefe ein. Dann machte ich mir eine große Kanne Kaffee, schob zwei Scheiben Vollkornbrot in den Toaster und schaltete das Radio ein. Als das Brot knusprig genug war, bestrich ich die eine Scheibe mit Honig, die andere mit Marmelade, wärmte in der Mikrowelle ein wenig Milch und schenkte mir eine Tasse Kaffee ein.
Ich ließ mich am Tisch nieder und öffnete die Post. Es waren insgesamt neun Weihnachtskarten, darunter eine von einem Typen, an den ich mich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er schrieb, er hoffe, wir würden uns im neuen Jahr mal wieder sehen. Eine stammte von Callum, dem Mann, der mir auf der Party, zu der mich Laura und Tony uneingeladen mitgenommen hatten, über den Weg gelaufen war. Das schien schon eine Ewigkeit her zu sein, ein Ereignis aus einem anderen Leben. Damals hatte ich geglaubt, die Situation könnte nicht mehr schlimmer, sondern nur besser werden. Ich schob Callums Karte, die mit einer gekritzelten Einladung zu einer Party versehen war, beiseite. Aller Voraussicht nach würde ich es dieses Jahr nicht schaffen, meinerseits Weihnachtskarten zu verschicken oder Partys zubesuchen. Abgesehen von den Karten hatte ich zwei Spendenaufrufe wohltätiger Organisationen bekommen, außerdem eine
Kreditkartenabrechnung, einen Kontoauszug, drei Kataloge und einen Umschlag mit Kerrys Handschrift.
Ich trank meinen Kaffee aus und schenkte mir eine zweite Tasse ein. Dazu aß ich langsam meinen Honigtoast. Erst dann öffnete ich Kerrys Brief. »Liebe Miranda«, stand da. »Brendan und ich dachten, es wäre eine gute Idee, wenn du am Freitag unsere Trauzeugin sein würdest. Bitte lass mich so bald wie möglich wissen, ob du damit einverstanden bist. Kerry.« Das war alles.
Ich schnitt eine Grimasse. Ein merkwürdiger Schmerz begann sich wie eine kleine Spirale um mein rechtes Auge zu legen. Das war bestimmt Brendans Idee gewesen. Mich dazu zu bringen, neben dem glücklichen Paar zu stehen und meinen Namen neben die ihren zu setzen. Für die Kamera zu posieren. Brendan
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